Gwydion 01 - Der Weg nach Camelot
„Aber erst wenn es drauf ankommt, erweist es sich, aus welchem Holz man geschnitzt ist.“ Sie stand auf und ging weiter.
„Ich würde für mein Wort einstehen“, rief Gwyn ihr hinterher und sprang auf. „Selbst wenn es mein Leben kosten würde!“
„Das ist schnell dahergesagt“, sagte sie nur, ohne sich dabei umzudrehen. Doch Gwyn ließ sich nicht beirren. „Deswegen habe ich mich auf den Weg nach Camelot gemacht: um dem König meine Dienste anzubieten und das Ritterhandwerk zu erlernen. Das ist mein größter Wunsch.“
Aileen blieb stehen und drehte sich zu Gwyn um. „Sei vorsichtig mit deinen Wünschen“, sagte sie ernst. „Sie könnten in Erfüllung gehen.“
Aileen drehte sich noch einmal nach Katlyn um und wies sie durch ein Zeichen an, mit dem Pferd im Wald zu warten. Dann wandte sie sich an Gwyn. „Egal was jetzt passiert: Du hältst den Mund und überlässt das Reden mir.“ Gwyn nickte, zog sich das Tuch tiefer ins Gesicht und folgte dem Mädchen zum Tor.
Ein leichtes Gefühl der Angst beschlich ihn, denn er fragte sich, was mit ihm geschehen würde, wenn die Wache ihn wiedererkannte. Der Kerl hatte nicht so ausgesehen, als verstünde er Spaß.
Aileen hämmerte mit den Fäusten gegen die kleine Tür.
„Junge, wenn du das schon wieder sein solltest, hat jetzt dein letztes Stündlein geschlagen“, donnerte eine Stimme auf der anderen Seite. Die kleine Luke wurde beiseite geschoben. „Ich weiß nicht, wo du herkommst, aber bei uns nennt man diese Form der Hartnäckigkeit Dummheit… Oh, da soll mich doch…“ Die Wache riss die Augen auf, als sie Aileen sah. „Hoheit! Was macht Ihr denn da draußen?“
Hoheit? Mit einem Mal vergaß Gwyn seine Vorsicht und starrte Aileen unverblümt an. Das Mädchen machte einen Schritt zur Seite und trat Gwyn mit aller Kraft auf die Füße. Erschrocken senkte er wieder den Blick.
„Ich habe mir erlaubt, mit Katlyn einen Spaziergang zu machen“, sagte sie ungerührt. „Ich wusste nicht, dass ich dazu deine Erlaubnis benötige, Wache.“
„Natürlich nicht, Hoheit“, stammelte der Mann, der auf einmal alles andere als selbstsicher wirkte. „Es ist nur so, dass das ganze Schloss nach Euch sucht.“
„Nun, dann kannst du ja die frohe Kunde verbreiten, dass du mich gefunden hast.“
Der Mann schaute sie noch immer wie vom Donner gerührt an. Schließlich machte Aileen eine Geste, als wolle sie ein Huhn aufscheuchen. „Los, los, nun beeile dich schon und öffne die Tür!“
„Jawohl, Hoheit“, rief die Wache nun eifrig und schob ächzend den Riegel beiseite.
Als Gwyn eintrat, verschlug es ihm die Sprache. Er hatte geahnt, dass König Arturs Herrschersitz imposant sein musste, aber nie hatte er geglaubt, dass man so weit in die Höhe bauen konnte. Fast schien es sogar, als wollten die drei Türme den Himmel berühren. Sie waren aus riesigen, gehauenen Steinquadern errichtet und in der Höhe des zweiten Stockwerks jeweils durch eine Art steinerne Brücke mit überdachten Mauerbögen verbunden. Der linke Turm, der nach Osten ausgerichtet war, war schlank und rund und der Spitzbogen des Eingangstores war mit allerlei merkwürdigen Steinfiguren verziert: Drachen- und Löwenköpfe, gehörnte Dämonen und andere seltsame Fabelwesen. Auf seinem spitzen Dach wehte die weiße Fahne mit dem roten Drachen. Der wuchtige Westturm hatte einen quadratischen Grundriss. Eine Außentreppe führte rings um ihn herum bis in den dritten Stock. Er hatte unzählige, mit kleinen Säulen unterteilte Fenster und eine Vielzahl von Erkern, Baikonen und kleineren Türmen war an ihn angebaut. Das Dach des Turms war flach und mit Zinnen bewehrt. Gwyn sah einige Männer dort oben stehen, die offenbar Wache hielten. Im Erdgeschoss des Turms sah man eine große, vergitterte Tür, hinter der ein gewölbter Gang nach unten führte.
Der weitaus prächtigste und alles überragende Bau war der mittlere Turm, der Palas der Burg. Eine breite Treppe führte vom Burghof in das erste Stockwerk und mündete dort in eine Art terrassenartigen Balkon, der sich über die ganze Breite des Gebäudes zog. Der erste Stock war ringsum mit hohen, kunstvoll verzierten Bogenfenstern durchbrochen. Die Spitze des Turmes bildete eine große Kuppel, die wie eine Krone aussah.
Gwyn bemerkte, dass in Camelot kein einheitlicher Baustil vorherrschte. Während die Schmiede, die an das Untergeschoss des Ostturms angebaut war, aus grob behauenen Steinen errichtet worden war, gab es ein anderes, frei
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