Gwydion 01 - Der Weg nach Camelot
Anstrengung quollen ihm fast die Augen aus den Höhlen.
Sir Kay wollte Humbert beispringen, doch Merlin hielt ihn fest. „Wir müssen hier raus!“, rief Merlin. „Sobald dieser Balken einstürzt, wird unweigerlich der Rest folgen. Humbert kann uns gerade so viel Zeit verschaffen, wie wir zur Flucht brauchen.“
„Aber… er wird sterben, wenn wir ihn hier zurücklassen!“, rief Gwyn fassungslos.
„Wir werden alle sterben, wenn wir hier bleiben! Einer muss sich opfern!“
Humbert keuchte: „Dann ist mein Tod wenigstens nicht sinnlos. Lauf, mein Junge! Bring dich mit den anderen in Sicherheit!“
„Nein, das kann ich nicht! Ihr habt mir einmal das Leben gerettet und jetzt rette ich das Eure!“
Humbert verzog voller Schmerzen das Gesicht. Die Last auf seinen Schultern wurde immer schwerer. „Sei kein Narr!“, presste er hervor. „Versprich mir, dass du mein Schwert in Ehren hältst und dich um Pegasus kümmerst.“
„Wie soll ich denn ohne Euch…“
„Versprich es mir!“
Gwyn schossen die Tränen in die Augen. Voller Verzweiflung ballte er die Fäuste. „Ich verspreche es“, schluchzte er.
Humberts Beine gaben langsam nach. Gwyn spürte, wie Rowan an seinem Arm zerrte.
„Was ist mit Urfin, dieser Schlange?“, sagte Sir Kay. „Ich hätte gute Lust, ihn hier liegen zu lassen.“
„Er muss mit. Seine Rolle ist noch nicht zu Ende gespielt. Los jetzt“, befahl Merlin und seine gelbgrünen Augen funkelten.
Sie hasteten durch die schmalen Gänge zum Ausgang. Merlin sorgte dafür, dass Gwyn nicht zurückblieb, während Rowan Sir Kay half, Urfin nach draußen zu schleppen. Sie hatten es fast geschafft, als sie einen lauten Schrei hörten, der allen einen kalten Schauer den Rücken hinabjagte.
„Valeria!“
Das war Humbert.
Gwyn blieb erschrocken stehen.
Dann hörten sie, wie das Donnern der einstürzenden Decke immer näher kam. Merlin gab Gwyn einen Stoß und der wachte aus seiner Erstarrung wieder auf. Jetzt liefen sie tatsächlich um ihr Leben. Schließlich erreichten sie den Ausgang und brachten sich mit einem Sprung ins Freie in Sicherheit. Hinter ihnen ertönte ein ohrenbetäubendes Knirschen, als sei der Hügel in seinem Inneren geborsten. Rowan und Sir Kay ließen sich erschöpft ins Gras fallen und husteten sich den Staub aus den Lungen. Gwyn starrte fassungslos auf den Eingang, der von Geröll und Schuttmassen versperrt war. Die Kuppe des Hügels hatte sich um mehrere Fuß gesenkt, sodass der steinerne Tisch zusammengebrochen und in mehrere Teile zersprungen war.
Gwyn sank wie betäubt auf seine Knie und blickte auf die Ruine.
Rowan setzte sich neben seinen Freund und schaute ihn einen Moment ratlos an, so als ob er nicht wüsste, wie er Gwyn trösten sollte. „Er war wirklich ein feiner Kerl“, sagte er. „Ich bin mir sicher, dass man noch in Hunderten von Jahren seine Heldentat besingen wird.“
Gwyn hob den Kopf und schniefte. „Ich habe in einer Nacht zwei Freunde verloren“, sagte er mit Blick auf Sir Urfin, der noch immer bewusstlos dalag. „Und ich weiß nicht, welcher Verlust schwerer wiegt.“
Rowan seufzte. „Tod und Verrat sind manchmal zwei Namen für ein und dieselbe Sache.“
„Glaubst du wirklich, dass er an Geoffreys Tod unschuldig ist?“, wollte Gwyn wissen.
„Ich weiß es nicht, wirklich. Vielleicht hat er die Wahrheit gesagt, vielleicht aber auch nicht. Von der Beantwortung dieser Frage wird sehr viel für ihn abhängen. Wenn es tatsächlich ein Unfall war, wird man ihm den Rittertitel aberkennen, sein Schwert zerbrechen und ihn verbannen. Klebt allerdings Blut an seinen Händen, wartet der Galgen auf ihn. Diese Frage werden wir aber nicht beantworten können. Wir müssen warten, bis ein Gerichtstag einberufen wird. Und das kann dauern, denn der Feind steht vor den Toren Camelots.“ Rowan stand auf. „Versuch ein wenig zu schlafen. Morgen haben wir einen harten Ritt vor uns.“
Doch an Ruhe war in dieser Nacht nicht zu denken. Die Vorstellung, so nahe neben dem toten Freund zu schlafen, war für Gwyn unerträglich. Er nahm seine Decke, setzte sich unter einen Baum etwas abseits und betrachtete die Sterne, die wie kleine Juwelen vor einem schwarzen Samtvorhang blinkten. Muriel hatte ihm einmal auf die Frage, wo seine Mutter nach ihrem Tod hingegangen sei, geantwortet, sie sei zum Himmel hinaufgefahren und schaue jetzt als Stern auf sie alle hinab. Die Vorstellung, dass sie über ihn wachte, tröstete ihn noch immer, obwohl er kein kleines
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