Gwydion 02 - Die Macht des Grals
die in Rowans Stimme mitschwang. Umso mehr bewunderte er den Mut, mit dem er die Frage so geradeheraus stellte.
„Dinas Emrys“, antwortete Cundrie nur. „Eure Pferde hätten den Ritt durch das Wüste Land nicht überlebt. Doch ihr musstet es durchqueren. Ihr konntet Goons Festung nur finden, indem ihr nicht nach ihr suchtet.“
Rowan runzelte die Stirn. „Das verstehe ich nicht.“
„Als Arturs Sohn vor mehr als vierzehn Jahren diesen Landstrich heimsuchte, stieß er auf die Spur eines kostbaren Schatzes, der Erlösung und Unsterblichkeit bringen soll.“
„Der Heilige Gral!“, entfuhr es Gwyn.
„So ist es. Doch obwohl Goon dem Feind in jeder Hinsicht unterlegen war, gelang es ihm, die ehrgeizigen Pläne des grünen Drachen zu vereiteln. Mordred sollte den Gral nicht finden. Aus Rache brachte er die Quelle zum Versiegen und zerstörte die Festung, nachdem er Goon Desert getötet hatte.“
„Also war alles eine abgekartete Sache zwischen Euch und Merlin?“, fragte Gwyn.
„Nicht ganz“, antwortete Cundrie, die noch immer steif wie eine Statue auf ihrem Schemel saß. „Merlin ist tatsächlich nicht im Besitz der Substanzen, die er zur Rettung von Lancelot benötigt.“
„Doch Ihr wusstet von unserer Ankunft?“, fragte Rowan.
„Ja. Und ich wusste, was zu tun war, damit der Schatz von Dinas Emrys endlich geborgen werden konnte.“
Gwyns Blick fiel auf die Kiste, die beim Höhleneingang stand und um die sich die sieben Raben versammelt hatten, als wollten sie sie bewachen. „Befindet sich in dieser Truhe der Gral?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Cundrie.
„Könnt Ihr das Schloss öffnen?“, fragte Rowan neugierig.
„Sicherlich. Aber es steht mir nicht zu, es zu tun.“ Steif wie eine Gliederpuppe stand sie auf und ging zum anderen Ende der Höhle, wo sie einen Vorhang beiseite zog. „Ihr müsst bei Kräften sein, wenn ihr morgen Früh aufbrechen wollt. Die Betten sind gemacht, ihr solltet jetzt schlafen.“
Obwohl es noch helllichter Tag war, schienen ihre Glieder plötzlich schwer wie Blei zu sein. Gwyn musste herzhaft gähnen und konnte sich von einem Moment auf den anderen nur noch unter Aufbietung seiner letzten Kräfte auf dem Stuhl halten. Auch Rowan erging es nicht anders. Sein Blick war plötzlich glasig geworden, als er wie an unsichtbaren Schnüren gezogen aufstand und auf sein Bett zuwankte.
Gwyn hingegen versuchte mit aller Macht gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Zu viele Fragen schwirrten noch in seinem Kopf herum, auf die er Antwort zu erhalten hoffte. Doch Cundrie hob die Hand und mit einem Mal war die Sehnsucht nach Schlaf überwältigend. Er schloss die Augen und ließ sich bereitwillig in den Wirbel fallen, der ihn dunkel umfing.
Das Lied kündete in seiner süßen Schwermut von längst vergangenen Zeiten. Gwyn dachte zunächst, dass er träume, als er die helle, zu Tränen rührende Stimme hörte. Als er die Augen aufschlug, wusste er, dass es keine Einbildung war. Die Nacht war hereingebrochen und der Mond stand hoch am Himmel. Das Rauschen der Bäume, die sich sanft im Wind hin- und herwiegten, lieferte die Melodie zu diesem unirdischen Gesang, der wie aus weiter Ferne zu ihm getragen wurde. Gwyn rieb sich die Augen und schaute sich um. Neben ihm lag mit halb geöffnetem Mund Rowan, leise schnarchend. Gwyn überlegte kurz, ob er ihn wecken sollte, zog seine Hand aber wieder zurück. Stattdessen schlug er die Decke beiseite und trat vor die Höhle.
Mehr denn je schien der Wald in dieser Nacht zu leben. Jeder Baum, jeder Strauch war durchdrungen von der Magie der Natur, die den Menschen nicht brauchte.
Cundrie stand am Teich und hatte die Tiere des Waldes wie eine Mutter ihre Kinder um sich geschart. Da waren die sieben Raben, Rehe und Bären, Hasen und Wölfe, Luchse, Dachse und Füchse, alle in friedlicher Eintracht versammelt und lauschten dem Lied, das alles durchdrang und ihre Herzen berührte, um sie zu verzaubern.
Die Heilerin stand mit dem Rücken zu ihm und legte ihre Kleider ab. Die Haare, die sonst wie ein Schleier ihr Gesicht verbargen, waren nun im Nacken zusammengebunden. Ihr Rücken, die Arme und die Beine waren übersät mit den Bildern all jener Kreaturen, in deren Mitte sie stand. Als sie spürte, dass sie beobachtet wurde, drehte sie sich zu Gwyn um und lächelte ihn an.
Er wusste nicht, ob das Mondlicht ihm einen Streich spielte, aber es schien, als ob Cundrie sich im Rhythmus des Liedes, das sie sang, zu verändern schien. Im ersten
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