Gwydion 03 - König Arturs Verrat
sodass er gnadenlos gegen seinen Knappen verloren hatte.
Doch heute war es anders. Lancelot, der sich ebenso wie Gwyn langweilte, hungerte geradezu danach, seinen eingerosteten Verstand zu schärfen, und ließ Gwyn kaum eine Chance, vernünftig ins Spiel zu kommen. So war die erste Partie schon nach einer halben Stunde beendet und Gwyn war so vernichtend geschlagen worden, dass er im ersten Moment erschrocken auf das Brett starrte. Lancelot bot ihm eine Revanche an, die Gwyn sofort annahm. Doch auch die zweite Runde ging nicht viel besser für ihn aus. Die dritte war eine komplette Katastrophe. Enttäuscht sank er mit verschränkten Armen in seinem Stuhl zusammen und funkelte Lancelot böse an.
„Ihr führt mich hier vor!“
„Käme mir nie in den Sinn“, gluckste Lancelot und baute die Figuren wieder auf. Seine Stimmung hatte sich in der Tat ein wenig aufgehellt, obwohl es ihn eine gewaltige Anstrengung kosten musste, seinen Tatendrang im Zaum zu halten. Lancelot drehte das Brett so, dass Gwyn mit den weißen Figuren spielen konnte, als die Tür aufging und Sir Gore die Halle betrat. Sir Lancelot und Gwyn standen auf, um ihren Gastgeber zu begrüßen.
Sir Gore stutzte einen Moment. „Ist es das, wovon ich glaube, dass es das ist?“ fragte er neugierig. „Ein Schachspiel?“ Plötzlich war er ganz aufgeregt.
Gwyn trat beiseite und bot ihm seinen Stuhl an. „Ihr könnt für mich einspringen.“
„Der Stolz meines Knappen hat während der letzten Runden ein wenig gelitten“, sagte Lancelot und grinste breit.
„Darf ich?“, fragte Sir Gore mit kindlicher Freude in der Stimme.
„Es wäre mir eine Ehre. Ihr beginnt.“
Gwyn holte sich einen Hocker und setzte sich so, dass er das Brett mit den vierundsechzig Feldern von der Seite betrachten konnte. Sir Gore rieb sich die Hände und ließ die Finger knacken. Dann tat er den ersten Zug.
Es stellte sich sehr bald heraus, dass Sir Gore ein gewiefter Taktiker war, der seine Züge weit im Voraus bedachte. Gwyn, der mittlerweile einiges vom Wesen des Schachspiels verstand, sah mit Erstaunen, wie er scheinbar sinnlose, fast selbstmörderische Attacken ausführte, die sich im Nachhinein als geschickt gestellte Fallen entpuppten, in die Lancelot nur zu bereitwillig tappte. Es war ein Gemetzel, nur dass es diesmal Gwyns Herr war, der den Kürzeren zog.
Das Essen wurde aufgetragen, doch die beiden Kampfhähne ließen nicht voneinander ab. Mittlerweile hatte Lancelot sich der Spielweise seines Gegenübers angepasst und die zweite Partie gewonnen. Die dritte Partie wurde mit einer Verbissenheit geführt, wie Gwyn sie noch nie erlebt hatte. Alleine durch das Zuschauen lernte er viel über den Charakter der beiden Spieler. Sir Gore schien sehr darauf bedacht zu sein, sich in eine Position der Stärke zu bringen, aus der er das komplette Brett beherrschte. Er griff die Reihen des Feindes von verschiedenen Seiten an, wobei die mittleren Felder durch je einen Turm, Läufer und Springer abgeriegelt wurden. Sir Lancelot hingegen ließ den Gegner auf sich zukommen und wartete, bis sich in der Deckung ein Loch auftat, um dann schnell und präzise zuzuschlagen.
Der Entenbraten war längst kalt geworden, als das dritte Spiel mit einem Remis endete. Sir Gore blies die Backen auf und rieb sich müde die Augen. Mitternacht musste längst vorbei sein. „Ihr seid ein erstaunlicher Kämpfer, Sir Lancelot. Sehr anpassungsfähig und kaltblütig. Ich bin froh, dass sich unsere Klingen noch nie auf einem Schlachtfeld gekreuzt haben. Vermutlich würde ich nicht lange überleben.“
Sir Lancelot erwiderte nichts auf dieses Kompliment, sondern verneigte sich nur. Gwyn warf die Figuren in ihr Ledersäckchen und klappte das Brett zusammen, um es beiseite zu räumen.
„Ich weiß nicht, wie es mit Euch ist, aber ich habe die Partien mit Euch sehr genossen. Ich hoffe nur, Euer Knappe hat sich nicht zu sehr gelangweilt.“
„Ganz und gar nicht“, antwortete Gwyn und begann den Tisch zu decken. „Es war eine Bereicherung, zwei Meistern Eures Schlages zuschauen zu dürfen.“
Sir Gore stand auf und holte aus einem Regal zwei Silberpokale. „Ein Schluck Wein, Sir Lancelot?“
„Gerne.“
Sir Gore nahm eine Karaffe vom Tisch und füllte die Becher mit einer rubinroten Flüssigkeit. „Für Euren Knappen steht ein Krug mit gesüßtem Cidre bereit. Bedien dich selbst, mein Junge.“ Er setzte sich und prostete seinen Gästen zu. „Auf die Zukunft.“
„Die Zukunft“, entgegnete
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