Gwydion 03 - König Arturs Verrat
Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Als selbsternannter Hüter der Kultur hatte er diese Drecksarbeit seiner Geliebten überlassen. Immerhin hatte er so viel Skrupel gehabt, Agrippina nicht körperlich zu foltern, doch die Isolation, die Verwahrlosung und der Hunger, die sie Tag für Tag in ihrem Gefängnis hatte erleiden müssen, waren mindestens genauso grausam gewesen.
Bei Sonnenaufgang schlug Agrippina zum ersten Mal die Augen auf. Gwyn, der neben ihr auf einer Liege geschlafen hatte, wurde wach, als sie seine Hand ergriff.
„Guten Morgen, Gwydion“, wisperte sie.
Bei ihrem Anblick strahlte er über das ganze Gesicht. „Agrippina, Gott sei gedankt! Wie fühlt Ihr Euch?“
„Hungrig“, sagte sie matt. „Und zum ersten Mal seit Jahren mit Leben erfüllt.“
„Das sind die besten Nachrichten, die ich seit Langem gehört habe.“ Gwyn richtete sie in ihrem Bett auf und stützte den Rücken mit einer zusammengerollten Decke ab. Dann nahm er von einem Tisch eine kleine Schüssel. „Wenn Ihr das bei Euch behaltet, können wir bald zu etwas Nahrhafterem übergehen.“ Er drückte ihr einen hölzernen Löffel in die Hand und Agrippina begann vorsichtig zu essen.
„Und, wie schmeckt es Euch?“ fragte er mit kindlicher Neugierde.
Agrippina schloss die Augen und lehnte sich mit einem entrückten Gesichtsausdruck zurück. „Es ist himmlisch. Seiten habe ich etwas Köstlicheres gegessen.“ Sie öffnete die Augen. „Ich danke dir.“
„Wofür? Lady Wenna hat dieses Apfelmus für Euch zubereitet, nicht ich.“
„Gwydion, du weißt genau, was ich meine. Ich danke dir, dass du dein Versprechen gehalten hast. Ich bin frei!“
Gwyn errötete. „Bitte, esst weiter.“
„Was ist geschehen, nachdem Mordred mich wieder in den Turm gesteckt hat?“
„Ich hatte gehofft, Chulmleighs Bauern zu einer Revolte führen zu können, doch wir sind verraten worden. Es war Mara, die uns befreit hat.“
Agrippina ließ den Löffel sinken. „Mara? Du machst einen Scherz!“
„Nein“, sagte Gwyn ernst.
„Wo ist sie jetzt?“, fragte Agrippina mit bebender Stimme. Die Vorstellung, dass ihre Peinigerin womöglich in der Nähe war, wühlte sie so auf, dass sie am ganzen Leib zitterte.
„Sie ist tot. Von Mordred auf der Flucht erschossen.“
„Dann hat sie wohl für ihre Taten bezahlt, nicht wahr?“, sagte Agrippina bitter.
Gwyn antwortete nicht.
„Wo sind wir hier?“, fragte sie nach einer Weile.
„An der Küste in einer Burg namens Caer Goch, nahe der walisischen Grenze. Hier sind wir in Sicherheit, bis Ihr wieder so weit bei Kräften seid, dass wir nach Camelot reiten können, um Artur vor Mordred zu warnen.“
„Es wird Krieg geben“, stellte Agrippina nüchtern fest.
„Aber noch bleibt Zeit, uns auf den Angriff vorzubereiten. Und mit Euch an unserer Seite bin ich sicher, dass der Sieg uns gewiss ist.“
Agrippina schaute Gwyn überrascht an, doch dann verstand sie. „Die Lanze. Du denkst, dass Artur mit ihr ein für alle Mal über das Böse siegt.“
Begeisterung blitzte in Gwyns Augen auf. „Ja. Und ich finde die Aussicht, eines Tages in einer Welt ohne Mordred zu leben, äußerst beruhigend.“
„Das kann ich mir sehr gut vorstellen“, sagte Agrippina und löffelte weiter ihr Apfelmus. „Dann habe ich wohl geradezu die Pflicht, möglichst schnell wieder gesund zu werden, nicht wahr?“
„Um Himmels willen“, sagte Gwyn beschwichtigend. „So war das nicht gemeint.“
„Wie verzweifelt ist die Lage?“
Gwyns Lächeln erstarb, als er in ihr ernstes Gesicht blickte. „Sehr. Manche sagen, dass die letzten Tage von Camelot angebrochen sind.“
„Und was glaubst du?“
„Ich denke, sie haben Recht damit“, sagte Gwyn niedergeschlagen.
„Hast du Artur gegenüber einen Treueid geleistet?“
Gwyn dachte nach. Das hatte er in der Tat nicht. Er schüttelte den Kopf.
„Was ist mit Lancelot?“
„Er hat mich aus seinen Diensten entlassen“, sagte er und zu seinem Erstaunen schien Agrippina erleichtert.
„Hör mir jetzt genau zu, denn es ist wichtig, dass du mich verstehst: Du bist der Fischerkönig und somit nur einer Sache zur Treue verpflichtet, und das ist der Gral.“
„Aber König Artur…“
„Du hast keinen Herrn, dem du dienst, denn du bist selbst ein König. Deine einzige Aufgabe ist es, den Gral mit deinem Leben zu beschützen, wie es vor dir schon deine Eltern getan haben.“
„Wie soll ich etwas schützen, was nicht in meinem Besitz ist!“, rief er
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