Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
während Gwyn so viele Decken wie möglich zusammenraffte, um aus ihnen ein Zelt für den tödlich verletzten Mann zu bauen.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte ihn Rowan, als sie vor die Tür traten.
Gwyn schnaubte und setzte ein sarkastisches Lächeln auf. „Natürlich, es steht alles zum Besten. Cornwall wird verwüstet, überall liegen die Leichen von Menschen herum, die ich seit meiner Kindheit kenne, und mein Ziehvater liegt im Sterben.“
Rowan schwieg betroffen. Als Gwyn in das Gesicht seines Freundes blickte, ließ er die Schultern hängen.
„Es tut mir leid, Rowan“, sagte er. „Kein Mensch hat dich nach deinem Befinden gefragt, als dein Vater starb.“
Rowan lachte bitter. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich den alten Schinder einmal vermissen würde.“
„Mir fehlt er erstaunlicherweise auch. Aber ich denke, ihn nimmt Sir Kays Tod am meisten mit.“ Er deutete auf Sir Lancelot, der beim Weidenzaun stand und nachdenklich auf die leblosen Körper schaute, die er vor sich aufgereiht hatte.
„Lancelot trauert um meinen Vater?“, fragte Rowan ungläubig.
„Wieso überrascht dich das?“
„Das fragst du? Die beiden waren wie Hund und Katze!“
„Sie brauchten einander, und sei es nur, um sich gegenseitig zu hassen“, sagte Gwyn. „Aber ich glaube, noch etwas anderes macht Lancelot zu schaffen: die Frage, was am Ende von seinem Leben übrig bleiben wird.“
Rowan nickte. „Ja, wie Artur. Ich hoffe nur, Lancelot findet im Gegensatz zum König eine Antwort, die uns nicht alle ins Elend stürzt“, sagte er seufzend. „Ich glaube, ich gehe ihm besser einmal bei seiner traurigen Arbeit zur Hand.“
Gwyn beobachtete, wie Rowan zu Lancelot ging, neben ihn trat und vorsichtig ansprach. Der Ritter schreckte hoch, als habe man ihn gerade aus einem Tagtraum gerissen, schüttelte lächelnd den Kopf und klopfte Rowan auf die Schulter.
Ein schmerzerfülltes Stöhnen ließ Gwyn herumfahren. Do Griflet war erwacht.
„Rührt Euch nicht“, sagte Gwyn, der mit schnellen Schritten bei ihm war.
„Mir ist kalt“, wisperte Do und zog das blutdurchtränkte Schaffell höher. Schwere Tropfen fielen jetzt vom Himmel. Gwyn faltete eine der Decken auseinander und befestigte zwei der Zipfel an der Holzwand. Dann suchte er einen Hammer, um zwei Pflöcke in die Erde zu rammen, an die er die beiden anderen Ecken band. Zwei Schnüre hielten die improvisierte Konstruktion unter Spannung.
„Es ist nicht sonderlich hübsch, aber es erfüllt seinen Zweck“, sagte Gwyn mit einem Lächeln, um der Situation die bedrückende Schwere zu nehmen.
„Bist du mir immer noch böse?“, fragte Do.
„Warum sollte ich Euch böse sein?“ Gwyn vermied es dabei, ihm in die Augen zu schauen.
„Du warst nie ein besonders guter Lügner.“
„Ich weiß. Deswegen habe ich es auch immer vermieden, die Unwahrheit zu sagen“, sagte Gwyn abweisender, als er eigentlich wollte.
„Eine Eigenschaft, die ich sehr an dir schätze“, antwortete Do. „Man weiß stets, woran man bei dir ist. Auch jetzt ist dein Mienenspiel wie ein offenes Buch für mich.“
Gwyn hockte sich hin und bohrte mit dem Finger einen kleinen Stein aus dem lehmigen Boden.
„Du fragst dich, warum ich dir nicht schon früher die Wahrheit über deine Herkunft gesagt habe“, fuhr Do mit schwacher Stimme fort. „Ich gebe zu, dass es ein Fehler war. Einer von vielen, die ich in meinem Leben begangen habe. Wahrscheinlich muss man erst am Ende seines Weges angelangt sein, um begangenes Unrecht auch als solches zu erkennen.“
Gwyn blickte jetzt auf. „Ihr habt das getan, was Ihr Eurer Überzeugung nach tun musstet. Niemand macht Euch einen Vorwurf.“
„Ich mache ihn mir. Mein Gewissen lässt mir keine Ruhe. Edwin ist ein Nichtsnutz, aber ich habe ihn gewähren lassen, weil er der Erstgeborene war. Muriel hingegen war immer tüchtig. Ihre vorausschauende Art hat uns manches Mal aus großer Not geholfen.“
„Ihr habt versucht, eure Kinder gleich zu behandeln. Was ist daran verkehrt?“
„Ihr seid nicht gleich! Du warst stets der lebensfremde, zu Höherem berufene Träumer. Deine Mutter hatte dir Talente vererbt, die du als Schweinehirte niemals nutzen konntest.“
„Vielleicht brauchte ich ja diese Zeit bei Euch auf dem Hof, um meine Talente zu erkennen“, gab Gwyn zu bedenken. „Wisst Ihr, beim Hüten der Schweine hatte ich sehr viel Zeit zum Nachdenken.“
„Ja, das ist wohl wahr“, sagte Do gedankenvoll. „Etwas von deiner Bedachtsamkeit
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