Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
Rest der Welt zusehen, wo er bleibt! Ihr seid genauso blind wie all die anderen! Eure Eitelkeit verstellt Euch den Blick auf das Schicksal Eurer Mitmenschen, die Ihr so gering achtet! Kühe auf der Weide! Glaubt Ihr, nur Euer Leben sei bedeutungsvoll?“
Lancelot presste die Lippen zusammen und steckte mit zitternden Händen sein Schwert zurück.
„Oh, ich weiß genau, was Ihr denkt“, ereiferte sich Gwyn, der sich überhaupt nicht mehr beruhigen wollte. „Wäre ich nicht der Fischerkönig und hättet Ihr mir gegenüber nicht den Treueid geleistet, würdet Ihr mir am liebsten wie einem ungezogenen Kind eine Ohrfeige verpassen!“
„Gwyn“, sagte Katlyn und ergriff seinen Arm. „Gwyn, ich glaube, es ist genug!“
„Warum?“, schrie Gwyn. „Was nützt es mir, König zu sein, wenn ich noch nicht einmal meine Meinung sagen darf?“ Er drehte sich zu den Bauern um, die noch immer auf dem Karren saßen. „Und ihr: Glotzt nicht so dumm! Verschwindet von hier! Versteckt euch!“ Als sie sich noch immer nicht rührten, schob er den Riegel der Bracke zurück und ließ sie herunterkrachen. „Wird’s bald? Sonst bin ich noch gezwungen, mich der Meinung meines Ritters anzuschließen. Kühe auf der Weide!“, wiederholte er aufgebracht und warf kopfschüttelnd die Arme in die Luft.
Nach und nach kletterten die Bauern vom Wagen und stiegen, ohne sich umzusehen, den Hügel hinauf. Nur ein Mann blieb nach wenigen Schritten stehen.
„Was ist mit dir?“, donnerte Gwyn. „Versagt dein Herdentrieb?“
Der Mann schluckte. „Ist Euer Name Gwyn?“, fragte er leise, fast schüchtern. „Gwyn Griflet?“
„Nicht mehr.“ Gwyn kniff die Augen zusammen. „Warum fragst du?“
„Also seid Ihr nicht der Sohn von Do Griflet?“
„Warum? Was ist mit ihm?“
Ein Lächeln stahl sich auf das abgearbeitete Gesicht des Bauern. „Do Griflet kämpft. Er hat die Bauern von Redruth geeint und sich gegen den Feind gestellt. Ich dachte, das solltet Ihr wissen.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und folgte den anderen.
Gwyn starrte dem Mann hinterher. Do Griflet kämpfte? Der Mann, der sich immer auf die Ordnung der Dinge berufen hatte, hatte sich mit den anderen Bauern erhoben?
„Fangt die Pferde ein!“, rief Gwyn. „Wir müssen auf dem schnellsten Weg nach Redruth!“
Gwyn entschuldigte sich nicht bei Lancelot, und der Ritter machte auch nicht den Eindruck, als erwartete er derlei. Seit dem Vorfall hatten die beiden kein Wort miteinander gesprochen. Und auch die Führungsrolle, die Lancelot seit der Abreise innegehabt hatte, war nun stillschweigend auf Gwyn übergegangen.
Je näher sie Redruth kamen, desto mehr machte sich in Gwyn zu seiner eigenen Überraschung ein warmes Gefühl der Heimkehr breit. Dies war die Straße, die er mit Humbert von Llanwick vor ein paar Monaten eingeschlagen hatte, um Aufnahme in Camelot zu finden.
Redruth selbst hingegen war nicht mehr wiederzuerkennen. Die verkohlten Balken der eingestürzten Katen qualmten noch, als sie die Dorfstraße erreichten. Ein heftiger Kampf musste stattgefunden haben. Weder Mordreds Männer noch die Dorfbewohner hatten die Zeit gefunden, ihre Toten zu bestatten.
Ein Übelkeit erregender Geruch nach verrottetem Fisch ließ Gwyn würgen. Auch Katlyn stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Rowan und Lancelot schwiegen. Beide hatten schon oft ein Schlachtfeld gesehen. Sie durchquerten das Dorf und schlugen am Ortsende den schmalen Weg ein, der zum Hof der Griflets führte. Schon nach einigen Metern stießen sie auf niedergebrannte Barrikaden und abgefackelte Teergruben.
Ein blutiges Rückzugsgefecht hatte das Leben vieler Bauern gefordert. Gwyn konnte die einzelnen Linien erkennen, hinter denen sich die Verteidiger verschanzt hatten. Einiges wies aber auch darauf hin, dass die Bauern sich nicht erfolglos zur Wehr gesetzt hatten. Viele von Mordreds Männern hatten ihre tödlichen Verletzungen bei der Flucht erlitten. Gwyn fragte sich, wie die Bauern so viel über das Kriegshandwerk hatten lernen können. Alles sah sehr improvisiert aus, manches war zweifellos der Treibjagd entlehnt. Bei der Vorstellung, dass Do den Feind in Unterzahl einfach angegriffen hatte, weil ihm ein Kampf unausweichlich erschienen war, setzte Gwyns Herz einen Schlag lang aus. Es erforderte viel Mut, so zu handeln.
Der Hof selbst war in eine kleine Festung verwandelt worden. Man hatte den inneren Bereich um Stall und Kate mit einem Zaun aus Weidenruten gesichert, dessen Pflöcke
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