Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
Verrat!“
„Verrat wäre es, wenn du dein Leben ohne Not in Gefahr brächtest“, sagte Gwyn. „Komm mit uns, bitte.“
Muriel wedelte mit der Hand, als versuchte sie, alle Einwände wie einen Schwarm lästiger Fliegen abzuwehren. Dann brach sie in Tränen aus und lief in die Kate. Mit einem lauten Schlag warf sie die Tür zu.
„Lass ihr Zeit“, sagte Katlyn. „Sie hat einige schwere Wochen und Monate hinter sich.“
„Unser Problem ist, dass wir keine Zeit haben“, sagte Gwyn und schaute sie eindringlich an. „Wir müssen noch heute Weiterreisen.“
Sie begannen zu packen und die Pferde zu satteln. Gwyn wurde langsam nervös. Er wusste, dass es keinen Zweck hatte, auf Muriel einzureden. Wenn sie mitkommen sollte, so musste sie diesen Entschluss aus eigenem Antrieb fassen. Auch Lancelot und Rowan wurden allmählich unruhig, als Gwyn all seinen Mut zusammennahm. Er war schon auf dem Weg zur Kate, als die Tür plötzlich aufgerissen wurde.
Muriel hatte es Katlyn gleichgetan und Männerkleidung angezogen, die ihrem Vater gehört haben musste. Die Hosen waren zwar wie Hemd und Joppe um einiges zu groß, doch ein breiter Gürtel, in dem ein beängstigend großes Messer steckte, hielt alles leidlich zusammen.
Gwyn trat einen Schritt beiseite, als er ihren entschlossenen Blick sah. Mit weit ausgreifenden Schritten stapfte sie an ihm vorbei, einen Sack mit ihren restlichen Habseligkeiten über die linke Schulter geworfen.
„Dieser Mordred wird den Tag bereuen, an dem er in diese Welt geworfen wurde“, rief sie wütend. „Ihr zieht gegen ihn in den Krieg? Fein, ich kämpfe mit euch.“
Gwyn schaute Muriel mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und ehrlichem Respekt an. Er kannte sie ziemlich gut und wusste, dass sie vor Auseinandersetzungen nicht zurückschreckte.
Edwin hatte einige Male feststellen müssen, dass sie sich nicht so leicht einschüchtern ließ wie Gwyn. Doch diese finstere Entschlossenheit, die sich jetzt in ihren Augen widerspiegelte, hatte er noch nie bei ihr gesehen. Wie alt mochte sie jetzt sein? Fünfzehn oder gar sechzehn? Die Zeiten, in denen sie als tüchtige Tochter Schafe gehütet hatte, waren seit dem heutigen Tag vorbei.
Die beiden Mädchen teilten sich ein Pferd, während sie das Gepäck auf die anderen Pferde verteilten. Ohne Zeit zu verlieren, ritten sie so schnell wie möglich zurück nach Perranporth. Niemand begegnete ihnen unterwegs, obwohl Gwyn spürte, dass sie von ängstlichen Augen beobachtet wurden. Keiner der Bauern, die den Überfall überlebt hatten, wagte sich aus den Wäldern. Er konnte es ihnen nicht verübeln. Gwyn erinnerte sich noch an den Angriff der Sachsen, der jetzt ein ganzes Jahr zurücklag. Ein Jahr, das ihm im Rückblick wie ein neu gelebtes Leben vorkam. Er hatte sich in dieser Zeit verändert. Die Welt um ihn herum war größer und komplizierter geworden. Gwyn hatte einen Blick hinter den Vorhang der Macht geworfen, und was er gesehen hatte, beunruhigte ihn zutiefst. Es war kein Wunder, dass die einfachen Menschen Angst vor den Herrschenden hatten. Könige und Fürsten betrachteten diese Welt mit anderen Augen. Sie sahen sie von einem erhöhten Standpunkt aus und sahen doch nur so weit, wie ihr eigenes Herrschaftsdenken es ihnen erlaubte. Selbst Artur, der sich lange diesem verzerrten Blick widersetzt hatte, war am Ende seines Lebens der Gier nach Macht erlegen. Der König Britanniens war ein einsamer, bitterer alter Mann geworden, der niemandem mehr traute. Merlin hatte er vertrieben genauso wie Lancelot, Tristan und Degore. Nur Guinevra hielt noch tapfer zu ihm, obwohl Artur ihr diese Treue übel dankte.
Unwissenheit ist ein Segen, hatte Do Griflet zu sagen gepflegt. Gwyn hatte diese Haltung stets verachtet, aber nun begann er zu verstehen, warum sein Ziehvater so gedacht hatte. Diese Denkweise hielt Angst und Verzweiflung fern. Sie hatte den Landleuten ein spärliches, trügerisches Glück beschert, obwohl einige bereits seit Mordreds erstem Überfall geahnt haben mussten, dass die Tage, die vor ihnen lagen, dunkel und ohne Hoffnung sein würden. Gut und Böse lagen im Kampf miteinander, und es schien, als würde die Finsternis gewinnen. Noch war die Entscheidungsschlacht nicht geschlagen, jedoch spürte Gwyn, dass ihr Ausgang maßgeblich von ihm abhängen würde. Und dieses Wissen bedrückte ihn immer mehr.
Sie erreichten den Hafen von Perranporth in den frühen Mittagsstunden. Das kleine Boot befand sich noch immer hinter dem großen
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