Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
wirken. Wenn es stimmte, was der alte Ritter sagte, wie war dann Edwins Verrat zu sehen? Noch einmal rief er sich das Bild des pferdegesichtigen Burschen vor Augen, der stets um die Anerkennung seines Vaters gerungen hatte, ihr aber nie teilhaftig wurde, egal wie sehr er sich auch anstrengte. Gwyn hingegen hatte die Freiheit eines Narren genossen. Jede unerwartete Leistung seinerseits wurde stets mit einem anerkennenden Blick, vielleicht sogar mit einem wohlwollenden Nicken quittiert.
Muriel schien sich mittlerweile ein wenig an den Wellengang gewöhnt zu haben. Sie lächelte Gwyn tapfer an und Gwyn musste tatsächlich zurücklächeln. Und beim Blick in die Runde erfüllte ihn ein unerwartetes Gefühl der Zufriedenheit. Dies hier war seine Familie, seine Zuflucht.
Seine Heimat.
Verbrannte Erde
Die Umschiffung des Kaps von Gwennap Head verlief erstaunlich ruhig. Die beständige Brise aus Südwest, die Lancelot bisher dazu gezwungen hatte, gegen den Wind zu kreuzen, blies nun von hinten. Außerdem wurde das Boot von einer zügigen Strömung erfasst, die die Reise spürbar beschleunigte, zumal Lancelot immer sicherer im Umgang mit Segel und Ruder wurde. Auch der Wellengang bereitete dem Gleichgewichtssinn der Passagiere kaum noch Schwierigkeiten. Selbst Rowan und Muriel, die zunächst sehr empfindlich auf die Schaukelei reagiert hatten, behielten die Mahlzeiten, bestehend aus Stockfisch und getrocknetem Fleisch, bei sich. Das Obst war ihnen schon am dritten Tag ausgegangen, doch die Trinkwasservorräte hielten sich und würden vermutlich für weitere sieben Tage reichen. Man saß in klamme Decken gehüllt beengt beieinander und redete nicht viel. Alle hingen sie ihren eigenen Gedanken nach. Vor allem Muriel schienen die Ereignisse der letzten Tage schwer auf der Seele zu liegen. Gwyn fühlte mit ihr. Es war der Verlust ihres bisherigen Lebens und die damit einhergehende Ungewissheit. Sie hatte fast alles verloren. Außer einem unbändigen Hass auf Mordred war ihr nicht viel geblieben.
Gwyn hatte sich entschieden, ihr nicht von Edwins Verrat zu berichten. Er glaubte, dass ein zusätzlicher Schlag sie endgültig aus dem mühsam wiedergewonnenen Gleichgewicht bringen würde.
Katlyn hatte sich zunächst rührend um Muriel gekümmert, doch dafür nicht mehr als ein erschöpftes Lächeln geerntet. In der ersten Nacht, die sie seit ihrer Abreise aus Perranporth an Land verbrachten, hatte Do Griflets Tochter abseits von den anderen ihr Lager aufgeschlagen und war schluchzend eingeschlafen. Gwyn hoffte, dass Muriel möglichst schnell ihren Platz in dieser für sie neuen Welt finden würde, um nicht von den bevorstehenden Ereignissen überrollt zu werden.
Zwar hatten sie seit einiger Zeit keine Rauchsäulen mehr gesehen, aber das musste nichts bedeuten. Entweder war der Feind noch nicht so weit nach Süden vorgedrungen, oder die Asche der niedergebrannten Dörfer war bereits erkaltet.
Als Gwyn am anderen Morgen vom Kreischen der Möwen geweckt wurde, war Muriel schon wach. Sie hatte sich nicht nur vollständig angekleidet, sondern hatte auch aus den restlichen Vorräten ein erstaunlich schmackhaftes Frühstück zubereitet. Gwyn musste lächeln, als er ihr ins Gesicht schaute. Um ihre Augen lag zwar immer noch ein Schatten, Muriels Wangen hatten aber bereits ihre rosige Farbe wiedergewonnen. Als sie seinen Blick bemerkte, winkte sie ihm zaghaft zu und Gwyn winkte ebenso zaghaft zurück.
„Bist du schon lange auf?“, fragte er sie. Die Morgenmüdigkeit steckte in seinen Knochen, sodass ihn die Kälte am ganzen Leib zittern ließ. Muriel reichte ihm eine Schale mit heißer Brühe.
„Seit Sonnenaufgang“, sagte sie.
Gwyn trank vorsichtig einen Schluck. „Vorzüglich“, sagte er anerkennend.
„Warum sind wir hier?“, fragte Muriel. „Was ist das Ziel dieser gefährlichen Reise?“
„Mir ist etwas abhandengekommen und ich versuche es wiederzuerlangen“, antwortete Gwyn und trank noch einen Schluck.
„Was kann so wichtig sein, dass wir all diese Strapazen auf uns nehmen?“
„Das Medaillon meiner Mutter“, sagte Gwyn.
Muriel starrte Gwyn an, als habe sie nicht recht gehört. „Wie bitte? All das wegen eines Schmuckstücks? Ich verstehe zwar, dass es ein wichtiges Andenken für dich ist, aber ist das nicht ein wenig übertrieben?“
Gwyn seufzte. „Das ist eine lange Geschichte.“
„Vielleicht solltest du sie deiner Schwester erzählen, mein König“, sagte Lancelot, der nun bei ihnen
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