Hab ich selbst gemacht
Kühlschrank mit Frischhaltefolie über die Woche zu retten, was allerdings regelmäßig zu matschigen Früchtekuchenresten führt. Das Schöne aber: Ich backe mich endlich mal durch mein Kuchenklassiker-Buch, habe schon gefüllten Streusel gemacht, ebenso Thüringer Mohnkuchen, gedeckten Apfelkuchen, Rhabarber-, Karotten-, Käse-, Zitronenkuchen und Erdbeertorte. Normalerweise habe ich ein- oder zweimal im Jahr gebacken, zu Geburtstagen eben. Dabei ist so ein Kuchen im Kühlschrank viel toller als die größte Schokoriegel-Auswahl im Supermarkt. Finde ich jedenfalls. Und erstaunlichweise habe ich auch kaum noch Heißhunger auf gekaufte Süßigkeiten. Innerhalb kürzester Zeit habe ich mir meine nachmittäglichen Zuckeranfälle abgewöhnt – klar, ich habe ja auch die Radikalmethode gewählt: Will ich etwas Süßes, muss ich es selbst machen. Weil ich aber nachmittags schlecht zum Beispiel einen Topf Pralinenmasse anrühren kann, greife ich dann zu meinem Stück Kuchen. Und das enthält nur einen Bruchteil des Zuckers, den mein Körper eigentlich gewöhnt war. Die Folge: Ich bin meine Zuckersucht los.
Meine Geburtstagstorte allerdings, die Lemon Tart, lässt in Sachen Zuckergehalt jeden Schokoriegel und jede Kekspackung blass aussehen, stelle ich fest, als ich mir jetzt meine Küchenschürze umbinde und die Zutatenliste aus dem Rezept durchgehe.
Das Rezept hat mir die beste Freundin vor einer Weile mit den Worten gegeben: »Das hat mir neulich einer auf einer Party versucht zu erklären, ich hab’s aber beim besten Willen nicht kapiert. Der hat geschworen, es sei die beste Lemon Tart der Welt, und mir das Rezept geschickt. Also probier das doch mal aus, für mich ist das nichts.«
Und so stehe ich nun mit einem Schneebesen in der Hand vor meinem Herd – einen wunderschön goldgelb gebackenen Mürbeteigboden aus Mehl, Zucker, Butter, Vanille und Pinienkernen habe ich gerade aus dem Ofen geholt – und komme mir wahnsinnig professionell vor. Kein Wunder, ich werde jetzt eine Sabayon machen! Allein das vor sich hinzusagen, fühlt sich schon an, als hätte ich bei Paul Bocuse gelernt. Außerdem halte ich mich sklavisch an das Rezept; wenn es das Rezept für die beste Lemon Tart der Welt ist,will ich nicht daran schuld sein, wenn das heute hier nicht die beste Lemon Tart der Welt wird. Gerade habe ich Eier in eine Schüssel geschlagen, die in einem Topf mit kochendem Wasser steht. Dabei mache ich nie etwas im Wasserbad, auch wenn es fünf Mal im Rezept steht, dafür bin ich einfach zu faul und habe allein schon keine Lust, anschließend zwei Töpfe abzuwaschen; also schmelze ich alles, auch Schokolade, immer direkt im Topf auf der Platte – und es ist auch immer gut gegangen.
Für die Sabayon muss ich Eier und Zucker schlagen, und zwar so lange, bis die Masse dick wird. Ich stehe also da, Minute um Minute, und schlage und schlage und schlage. Gebe nach und nach Zitronensaft hinzu und schlage weiter. Langsam wird mir der Arm lahm, aber es fühlt sich auch sehr elegant an, so als wäre ich die Chefin einer Patisserie. Mit jeder Minute, die ich schlage und die mein Arm mehr schmerzt, steigen meine Erwartungen an die Lemon Tart.
Die Masse wird dick, ich ziehe kleine Butterstückchen in die Creme und fülle sie dann in die Form mit der Pinienkernkruste. Schön sieht das aus, meine Gäste werden Augen machen.
Als ich vier Stunden später die Lemon Tart aus dem Kühlschrank hole, macht vor allem die beste Freundin große Augen und ruft: »Ha! Du hast sie gemacht! Geil.«
Ich schneide für jeden meiner Gäste ein Stück ab, für die beste Freundin, ihren Sohn, den Mann, für meine beiden Nachbarn – und zum Schluss lege ich mir selbst ein Stück auf den Teller.
Während ich den ersten Bissen ausgiebig kaue, macht sich Enttäuschung in mir breit. Die Tart ist vor allem eines: süß. Unfassbar süß. Irgendwie hatte ich mir mehr erhofft, wenn ich hier einen auf Haute Cuisine mache. Dass sie feiner schmeckt, nicht so fast schon ordinär sauer und süß. Ein bisschen kratzt sie im Abgang sogar im Rachen.
Ich schaue rüber zum Mann, der begeistert eine Gabel voll Kuchen in seinen Mund schiebt. Ihm schmeckt es, natürlich. Aber auch den anderen scheint es zu schmecken. Bis auf ein kleines Stück putzen sie den Kuchen weg; wir plaudern und haben einen netten Nachmittag.
Bevor ich am Abend ins Bett gehe, sitze ich noch in der Küche und schaue meine Geschenke an. Ich habe eine Nudelmaschine geschenkt bekommen, so eine
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