Hab ich selbst gemacht
Tempo und mit einer Aussprache, dass ich dabei nicht mehr als »Milch«, »Grad«, »Lab«, »rühren« verstehe. »Die Milch … brmmlbrrrml … Grad erw… brdlm grmml … Lab … rühren.«
»Und das heißt in Menschensprache?«
»Wir fangen mit der Milch für den Camembert an. 34 Grad soll die warm sein.« Also legen wir los, kippen zwei Liter Frischmilch – allerdings pasteurisiert, aus dem Supermarkt eben, keine Milch direkt aus dem Euter – in den Topf und schalten den Herd an. Schon nach ein paar Minuten bewegt sich der Zeiger des Steakthermometers auf 35 Grad. Das ging schnell.
Ich probiere den Trick mit dem Fingerreinhalten – womit mich der Anderlbauer beeindruckt hatte. Und ich kapiere, dass es gar kein Trick ist, klar, Körpertemperatur erkennt man einfach so, geht mir auf: wenn sich die Milch pupswarm anfühlt. Wir rühren wie im Rezept beschrieben ein paar Esslöffel Buttermilch in die Milch, »Säure wecken« heißt das auf dem Rezeptblatt, und dann packen wir den Topf in mehrere Decken und stellen den Herdalarm auf eine Stunde ein. Anschließend wiederholen wir das Prozedere mit der Ziegenmilch: erwärmen, Säurewecker rein, Deckel drauf, Topf einpacken. Dann beginnt der langweilige Teil des Käsemachens: das Warten. Nach jedem einzelnen Produktionsschritt muss man Zeit vergehen lassen. Es ist also ratsam, sich eine Nebenbeschäftigung für den Tag des Käsemachens zu suchen. Der Mann verkrümelt sich an seinen Schreibtisch. Ich beschließe, eine Runde im Garten zu drehen.
Eigentlich muss dort gar nichts mehr gemacht werden, es hängen ja nur noch ein paar wenige Tomaten und genießendie letzte Septembersonne. Ich lockere nur die Erde um die Tomate herum und in den Kartoffelsäcken etwas auf, pflücke ein paar Stängel Pfefferminze für den Salat zum Abendessen und stecke sie in meine Schürzentasche. Eine Ackerwinde ziehe ich auch noch, die ärgert mich schon seit einiger Zeit, jetzt fliegt sie raus. Eigentlich mache ich also nur Dinge, die nicht dringend nötig sind, aber ich glaube auch daran, dass Pflanzen angefasst und betüttelt werden wollen. Auch unsere Zimmerpflanzen wische ich ab und zu zärtlich mit einem nassen Lappen ab oder stelle sie unter die Dusche. Ich finde, Pflanzen sollen es gut haben. Und bisher hat sich noch keine von ihnen beschwert. Nur der Mann lacht mich aus, wenn er mich erwischt, wie ich den Pflanzen von meinem Tag erzähle.
Um Viertel nach zwölf stehen wir beide wieder in der Küche und starren konzentriert auf das Rezept. Als Schritt Nummer zwei steht dort: »Zugabe der Camembert-Schimmelkultur und des Labs. Gut durchmischen, dann weitere 60 Minuten warm stellen.« Ich hole den frischen Camembert aus dem Kühlschrank, ein schön pelziges Ding, das ich mit dem Messerrücken nackig mache. Wie ein Nacktmull oder eine dieser komischen Sphinx-Katzen sieht der Camembert jetzt aus, und auf dem Holzbrett vor mir liegt ein kleiner Haufen Schimmelspäne, die der Mann in feine Stücke hackt.
Jetzt kommt der interessanteste Teil. Zumindest finde ich das am spannendsten: das Lab. Für mich ist es immer noch unglaublich, dass ein paar Krümel einen ganzen Topf Milch in Gallertmasse verwandeln, einfach indem da irgendwelche Eiweißketten geknackt werden. Toll. Die Schwierigkeit ist nur, das Lab auch richtig zu dosieren. Ich habe ein kleines Fläschchen mit Pulver und einen minikleinen Messlöffel – aber so ein Messlöffel voll Lab reicht für 100 Liter Milch. Wir brauchen also ein Fünfzigstel. Die Frage ist: Wie kriege ich ein Fünfzigstel von einem minikleinen Messlöffel?
Ich kippe den Inhalt des Messlöffels in einer Linie aufdem Holzbrett aus und schiebe die Krümel wie in einem schlechten Drogenfilm mit dem Messer noch ein bisschen enger zusammen, sodass eine lange, schmale Linie weißen Pulvers entsteht. Würde jetzt ein Regisseur rufen »Cut! Das sieht viel zu klischeehaft aus!«, ich wäre sofort einverstanden. Die Linie halbiere ich mit einem vorsichtigen Messerschnitt, eine Hälfte des Labs schiebe ich beiseite, die andere ruckle ich noch mal mit dem Messer zurecht, dann teile ich sie in fünf halbwegs gleich große Abschnitte. Einen der Abschnitte schiebe ich erneut zu einer line zusammen und zerschneide diese wieder in fünf Teile. Übrig bleibt ein Häufchen Krümel, die etwa so groß wie grobe Sandkörner sind und die vielleicht sogar schneller per Hand abgezählt wären. Hätte da im Rezept gestanden: Auf einen Liter Milch 20 Körnchen Lab, das wäre
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