Hab ich selbst gemacht
allen tausend Einzelheiten fertig war, habe ich sehr wohl festgestellt, dass es am Schultermuskel ein bisschen eng war. Ich habe also die Ärmel noch einmal ein paar Zentimeter gekürzt und an der Oberseite, entlang der Schulter, ein paar Zentimeter eingeschnitten und das Ganze dann einfach mit Zickzackstich eingefasst. Und das Kleid dann nicht noch einmal anprobiert. Meine Nählust war einfach aufgebraucht, nach zwölf Arbeitstagen oder – abenden und insgesamt zirka 36 Nähstunden.
»Lieber Mann, machst du mir den Reißverschluss wieder auf?«, sage ich jetzt im Hotelzimmer.
Ich besorge mir an der Hotelrezeption eine Schere. Damit schneide ich beherzt den Schlitz an der Oberseite des Futterärmels noch ein paar Zentimeter weiter auf. Der Mann kommt aus dem Bad ins Zimmer und macht ein irritiertes Gesicht und ein ungläubiges Geräusch.
»Ist nur das Futter«, beruhige ich ihn. Aber tatsächlich ist es ein merkwürdiges Gefühl, in ein Kleidungsstück, an dem man Stunde um Stunde sorgfältigst genäht hat, einfach so mal kräftig reinzuschneiden.
Der Mann macht mir den Reißverschluss noch einmal zu, wir ziehen unsere Mäntel über und machen uns auf den Weg zu unserem eleganten Abend. Auf dem Fest werde ich von einem Freund direkt mit »Tolles Kleid!« empfangen und freue mich. Als wir uns dann fest umarmen, höre ich ein leises Krachen, fühle aber zum Glück, dass es nur vom rechten Oberarm kommt – der Schnitt im Ärmel sich also einfach noch ein paar Millimeter oder Zentimeter verlängert hat – und nicht etwa von einer Naht.
Während ich mit einem Getränk in der Hand herumschlendere, schaue ich mir die Kleider der anderen Frauen an. Die meisten sehen aus wie die Kleider, die man auch auf Hochzeiten immer sieht und von denen einem die Frauen verraten, dass sie genau ein solches Kleid im Schrank hängen haben und es dann zu jeder Hochzeit und jedem Anlass mit Dresscode anziehen.
Und ich, ich habe jetzt auch ein »Kleines Schwarzes«, zum ersten Mal in meinem Leben. Und wenn es stimmt, dass eine Frau im Kleinen Schwarzen immer richtig angezogen ist, könnte es vielleicht doch noch ein paar Gelegenheiten geben, zu denen ich das Kleid trage. Und dann ebenfalls erzählen kann, ich hätte genau dieses eine festliche Kleid im Schrank und … Nur dass ich dann noch hinterherschieben werde: »… hab ich übrigens selbst gemacht.«
Je mehr Kleider ich an diesem Abend sehe, desto fröhlicher werde ich, stolz und sogar ein bisschen eingebildet. Ich finde nämlich, dass mein Kleid hier unter all den Hunderten von Kleidern das schönste ist. Sogar ein bisschen übermütig werde ich, denn ich wage den Gedanken, mir noch ein paar mehr Kleider zu nähen – jetzt, da ich das ja so gut kann.
Dafür, dass ich etwas Neues gelernt habe, sind die 36 Arbeitsstunden dann gar nicht mal so viel, sinniere ich und nippe an meinem Getränk. Im Prinzip ist es ja bei jedem Handwerk so: Man kann alles lernen. Man muss sich nur darauf einlassen, Geduld haben, viel Zeit investieren und etwas Begeisterung.
Ich liebe mein Kleid. Und ich werde es vermutlich immer lieben, egal, wie oft ich es nun tatsächlich anziehen werde. Normalerweise komme ich mir in so einer Klamotte einfach nur bescheuert vor. Wobei ich sagen muss: Wenn man von Elfen und Pinguinen umgeben ist, fühlt man sich auch nicht mehr komisch, so in Abendgarderobe.
Für Stoff, Reißverschluss, Vlies, Garn und Nadeln habe ich zusammen weniger als 50 Euro bezahlt, für dieses Geld würde ich nie so ein Kleid bekommen. Irgendeinen billigen Fetzen, das ja. Aber keine maßgeschneiderte Handarbeit. Jetzt weiß ich, dass es wirklich gerechtfertigt ist, wenn schöne Klamotten Hunderte Euro kosten – so lange sie nicht trotzdem in sweat shops genäht wurden, in denen Frauen und Kinder für ein paar Cent am Tag schuften müssen. Denn nur für einen Namen zu zahlen, finde ich dann auch wieder dumm. Aber das hier ist eine echte Klingnerin. Mehr wert als 300, 500, 700 Euro. Ich weiß nicht, was man mir bieten müsste, damit ich es weggeben würde. Es müsste sehr, sehr viel sein.
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Tag 269
Raus aus die Kartoffeln, rin in die Kartoffeln
Ich erkläre am Morgen die Gartensaison für beendet. Es ist Ende September, draußen scheint die Sonne, ich werde zum ersten Mal in meinem Leben Kartoffeln ernten.
In den vergangenen Tagen habe ich schon damit angefangen, die letzten Pflanzen wegzuschmeißen – wie die abgeerntete Tomatenpflanze oder die eingegangene Aubergine – oder
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