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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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machen«, riet sie mir. »Du richtest dich im ersten Stock provisorisch ein, ohne deine bisherige Wohnung aufzugeben. Man weiß ja nie, wie alles weitergeht, doch so haben wir den Wolf unter Kontrolle. Er wird uns aus der Hand fressen…«
    »Es gefällt mir nicht, dass du die Sache rein geschäftsmäßig angehst. Ich habe dem armen Kerl versprochen, ihn vor dem Krankenhaus zu bewahren. Das kann ich tatsächlich am besten, wenn ich in seiner Nähe bleibe. Aber –«
    »Kein Aber, du Heuchlerin! Du schaffst einen Koffer mit Waschzeug und Kleidern in die Biberstraße, mehr ist nicht nötig. Stell dir einfach vor, es sei eine Ferienwohnung oder ein Hotel, da schläft man auch nicht im selben Bett wie zu Hause. Morgen habe ich frei, dann ziehen wir um! Ich bring eine Flasche Schampus mit.«
    Da Judith dem kranken alten Mann bestimmt nicht Tag für Tag ein Frühstück servieren würde, sagte ich zu. Ich hatte ihm schließlich mein Wort gegeben, ihn bis zum bitteren Ende zu begleiten.
    Das fremde Bett war es, wovor mir am meisten graute. Im ersten Stock war nur noch Wolframs Pritsche übriggeblieben, wobei mir die spartanischen Dimensionen egal waren, aber die Matratze nicht. Judith lachte über meine Bedenken und stellte mir einen fast neuen Futon in Aussicht, den sie für ihre Gäste angeschafft habe.
    »Und worauf willst du schlafen?«, fragte ich. »In der Mansarde steht nur ein Babybettchen.«
    »Keine Angst, ich werde schon jemanden finden, der mir eine Luftmatratze leiht«, sagte Judith. »Wenn es heute noch nicht klappt, werde ich mir einen Liegestuhl aus dem Keller holen und mit ein paar Decken auspolstern. Glücklicherweise gehöre ich zu denen, die überall pennen können, sogar in einem Schlafsack auf dem Fußboden oder bei der Lesenacht in unserer Bibliothek. Und wenn ich einmal eingeschlafen bin, kann mich selbst die Feuerwehr nicht wecken.«
    »Du Glückliche«, sagte ich und dachte: Kuttel Daddeldu rollte sich in einen Teppich ein , denn Judith erinnerte mich zuweilen an Ringelnatz’ wetterfesten Seemann: Fürst oder Lord – Scheiß Paris! Komm nur an Bord.
    Der Sonnabend wurde von mir insgeheim zum Welttag der Sklavenarbeit erklärt. Zu allem Überfluss lag auch noch eine Postkarte der portugiesischen Haushaltshilfe in Wolframs Briefkasten; Maria teilte ihrem Arbeitgeber mit, dass sie sich entschlossen habe, in ihrer Heimat zu bleiben. Ich hatte die Hiobsbotschaft bereits gelesen, bevor ich sie Wolfram überreichte. Er bekam sonst nie private Post, meist nur Drucksachen, Wurfsendungen, eine Zeitung, eine Programmzeitschrift und viele Verlagsprospekte.
    »Wir brauchen eine neue Putzhilfe«, sagte ich und wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Es ist schließlich ein sehr großes Haus, das schaffe ich nicht allein.«
    Wolfram sah mich ängstlich an. »Ja, natürlich«, meinte er, »es geht nicht ohne, aber bei der Wahl muss man äußerst vorsichtig sein. Am liebsten wäre mir eine Taubstumme.«
    Ich fand das überhaupt nicht lustig, denn ich hatte bereits sechs Stunden Putzarbeit hinter mir.
    »Eine, die noch nicht mal guten Tag sagen kann? Die am besten auch noch blind ist, damit sie keine Geheimnisse entdeckt? Lahm, damit sie nicht ins Dachgeschoss vordringt? Und natürlich so debil, dass sie deine Macken nicht durchschaut! Da werden sich bestimmt viele hübsche Mädels melden.«
    Wolfram war bestürzt über meinen Ausbruch. »War doch nur Spaß, Karla! Mach alles so, wie du es für richtig hältst«, sagte er besänftigend. »Ich habe kein Recht, mich einzumischen. Außerdem hat auf mich noch nie jemand gehört.«
    Nach einer Pause fügte er hinzu: »Wo steckt eigentlich Judith?«
    »Sie versucht, wenigstens eine der dreckigen Mansarden sauberzukriegen«, sagte ich mürrisch. »Aber sie wird gleich runterkommen. Ausnahmsweise wollte sie heute für etwas Essbares sorgen.«
    Eine Stunde später saßen wir zu dritt am Küchentisch. Judith hatte nicht gekocht, sondern Fast Food mitgebracht. Im Gegensatz zu mir schien sie kaum erschöpft zu sein, sondern war regelrecht gut gelaunt.
    »Wie weit bist du?«, fragte ich kauend.
    »Ach, da oben kommt man ja dauernd in Versuchung, mit dem Puppenhaus zu spielen«, sagte sie. »Da wohnt nämlich eine winzige Familie mit sieben Kindern, alle sooo süß…«
    Wolfram blickte hoch und lächelte verwirrt.
    »Köstlich, dieses Fleisch«, sagte er und knabberte an der Panade eines Chicken Nuggets. Hätte ich etwas Knuspriges aufgetischt, hätte er es bestimmt nicht

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