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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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ich einen Vibrator. Neugierig geworden schüttete ich die ganze Kleiderkollektion wieder aus und tastete alle Taschen ab. Anfangs stieß ich nur auf banale Dinge: gebrauchte Tempotücher, einen Kamm, einen hingekritzelten Einkaufszettel und ein zweites Schlüsselchen für den Briefkasten. In der Reißverschlusstasche eines getigerten Regenmantels fand ich schließlich eine hellrosa Karte:
    Liebe Tante Dette,
    herzlichen Dank für Deine großzügige Spende. Wahrscheinlich ist es besser, wenn Du Onkel Wolfi diesen Brief vorenthältst. Er spottet ja immer nur über die Qual der Quallen und dass die Qual der badenden Urlauber bestimmt viel heftiger sei. Das ist zwar lustig, geht aber am Naturschutz für alle Lebewesen völlig vorbei.
    Sobald mein Verein »Memento Maori« als gemeinnützig anerkannt wird, werde ich Dir eine Spendenquittung über 30   000 € schicken, das kannst Du dann beim Finanzamt geltend machen. Dein Geld flieflt sehr sinnvoll in ein Internat für benachteiligte Kinder neuseeländischer Ureinwohner, die unbedingt eine umfassende Förderung brauchen.
    Liebes Tantchen, ich umarme Dich. Ohne Deine Hilfe könnte ich meine sozialen und ökologischen Projekte niemals verwirklichen.
    Deine Sabrina
    Wolframs Zorn wurde mir durchaus verständlich. Es sah ganz so aus, als sei Tante Dette hinter Onkel Wolfis Rücken von der spinnerten Sabrina wie eine Weihnachtsgans ausgenommen worden. Am Ende war das gesamte Vermögen bereits futsch, und wir brauchten uns über eine angemessene Renovierung unserer Wohnungen keine Gedanken mehr zu machen!

14
    Die Qualle
    Am folgenden Tag war herrliches Wetter, ich frühstückte gemütlich allein und sogar auf der Terrasse, las in aller Ruhe die Zeitung, hörte im Hintergrund die Vögel singen und fühlte mich wie im Urlaub. Die längste Zeit meines Lebens hatte ich den Morgen völlig ungestört begonnen, und ich beschloss, Judiths Auftritt gegen neun Uhr in Zukunft zu meiden. Deswegen würde ich – so wie heute – erst nach ihr die Küche betreten.
    Es warteten jedoch allerhand unangenehme Pflichten auf mich, denn Wolframs Tod war mit bürokratischen Herausforderungen verbunden. Schließlich war ich als Erbin für die vorschriftsmäßige Abwicklung seiner irdischen Existenz verantwortlich. Schon der eigene Bürokram ist mir immer lästig gewesen, mich in fremde Akten einzuarbeiten war der reinste Horror. Noch dazu, wo Wolfram im Gegensatz zu mir Beamter war und seine Pension von anderen Behörden überwiesen wurde als meine eigenen Altersbezüge. Ob er alle Unterlagen wirklich so penibel und ordentlich sortiert abgeheftet hatte, wie sein Rechtsanwalt behauptete? Doch vielleicht würde ich bei dieser Gelegenheit auch auf Bankbriefe, Kontoauszüge und den Nachweis über die Spareinlagen der Kempners stoßen.
    Gerade als ich mir den ersten Ordner mit der Aufschrift Versicherungen vorknöpfen wollte, hörte ich ein Auto vorfahren. Kurz darauf klingelte es. Nicht ungern ließ ich mich bei der verhassten Tätigkeit unterbrechen. Draußen stand eine schicke junge Frau mit einem Golden Retriever an der Leine. Sie stellte sich als die Nichte der Kempners – Sabrina Rössling – vor und betrat ohne Aufforderung mein Haus. Ehe ich mich versah, thronte sie im Wohnzimmer mitten auf dem Sofa, und der Hund öffnete durch einen geschickten Sprung die Küchentür und machte sich am Mülleimer zu schaffen.
    »Warum haben Sie mich nicht sofort benachrichtigt, als mein Onkel starb?«, fiel Sabrina mit der Tür ins Haus. »Wenn Frau Altmann mich nicht angerufen hätte, wüsste ich immer noch nicht Bescheid!«
    »Ich kenne Sie doch gar nicht. Ihr Name wurde nie erwähnt. Im Übrigen haben Sie es in all der Zeit, in der ich mich um Herrn Kempner gekümmert habe, nicht ein einziges Mal für nötig erachtet, sich nach seinem Befinden zu erkundigen«, sagte ich kühl.
    »Doch«, sagte sie, »das wollte ich sehr wohl, aber er hat gleich wieder aufgehängt.«
    »Er wird seine Gründe gehabt haben«, trumpfte ich auf.
    Wir sahen einander feindselig an.
    Dann beschloss sie offenbar, die Taktik zu wechseln, und bleckte mit schlecht geheuchelter Freundlichkeit ihre Mausezähne. »Natürlich bin ich Ihnen dankbar, dass Sie meinen Onkel versorgt haben«, sagte sie. »Ich hoffe, er hat Sie angemessen bezahlt. Wie viele alte Männer war er etwas knauserig. Wohnen Sie jetzt eigentlich hier, oder wie soll ich Ihre Anwesenheit verstehen? – Bei Fuß, Bellablock!«
    Der Hund apportierte stolz und sabbernd

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