Hab und Gier (German Edition)
sich einen Anhänger, mit dem er den gesamten Grünschnitt zur Kompostieranlage brachte. Auch ich hatte etwas beigetragen und die Bank im hinteren Bereich eigenhändig gescheuert, abgebeizt, gestrichen und direkt daneben ein Blumenbeet angelegt. Beim Besuch von Wolframs Grab entdeckte ich in der Friedhofsgärtnerei noch ein paar übriggebliebene Tomatenpflanzen und stellte sie in Töpfen auf die Terrasse. Die Früchte zeigten schon einen roten Schimmer, und ich freute mich, nach vielen Jahren holländischer Treibhausprodukte wieder einmal sonnengereifte Tomaten essen zu können. Auch das Wetter blieb freundlich, Judith bekam Sommersprossen, ich einen aparten hellbraunen Teint, während Cord so wettergegerbt wie ein Seemann aussah. Um des lieben Friedens willen duldete ich sogar den Hund. Für alle Fälle wurde Bellablock umgetauft und lebte fortan inkognito bei uns. Wir riefen sie jetzt Debbie, und das intelligente Tier hörte sogar darauf.
Wir vertrugen uns ziemlich gut, aßen vorwiegend draußen und freuten uns am Resultat unserer gemeinsamen Bemühungen. Die Vertreibung aus dem Paradies drohte zwar nach wie vor, doch das über uns schwebende Damoklesschwert ignorierten wir einfach.
Natürlich dachte ich ständig an meine Kontrahentin und hätte nur zu gern gewusst, wie es ihr ging. Inzwischen hatte auch Frau Altmann, die ja Gott und die Welt kannte, durch irgendwelche Quellen erfahren, dass der schwere Unfall aus der Zeitung niemand anderem als der Qualle zugestoßen war, und mir diese Neuigkeit brühwarm erzählt. Ich tat so, als hätte ich keine Ahnung, und heuchelte Bestürzung. Schließlich hielt es unsere neugierige Nachbarin nicht länger aus. Sie rief in der Unfallklinik an, und da sie genau wusste, dass nur die nächsten Angehörigen eine Auskunft erhalten durften, gab die vermeintlich so biedere Frau Altmann sich schlauerweise als Polizistin aus, die sich nach der Vernehmungsfähigkeit der Verletzten erkundigen wollte. Sabrina Rössling, erfuhr sie, sei wenige Tage nach der Einlieferung verstorben und liege mittlerweile in der Pathologie, ihr Freund sei vergleichsweise glimpflich davongekommen. Man muss es Frau Altmann lassen, dass sie sofort bei uns auftauchte, um mir die schreckliche Nachricht mit leuchtenden Augen und laufender Nase mitzuteilen.
»Ach, es ist doch gar zu traurig!«, sagte sie, putzte sich mit der einen Hand die Nase und tätschelte mit der anderen den Hund. »Seltsam, dass Tiere derselben Rasse sich wie ein Ei dem anderen gleichen! Diese Retriever sind anscheinend sehr in Mode, wo mag wohl der von Sabrina geblieben sein? Eurer stammt aus dem Tierheim? Das liebe Hündchen fühlt sich pudelwohl bei euch, das spürt man gleich. – Mein Gott, die arme Sabrina, ich könnte mich müde weinen!«
Auch meine Gefühle waren zwiespältig, mich plagte das schlechte Gewissen. Insgeheim hatte ich mir ja gewünscht, dass sich die Qualle nie mehr in meine Erbschaftsansprüche einmischen konnte. Doch man hatte mir bereits als Kind eingeimpft, dass sich niemand über den Tod eines Menschen freuen durfte. Auch konnte man in diesem Fall nicht wie bei Wolfram von »Erlösung« sprechen. Cord hatte uns das alles eingebrockt.
An jenem Abend brachte ich kein Fleisch auf den Tisch, sondern zur Strafe ein vegetarisches, fades und ungesalzenes Gericht, das auch mir überhaupt nicht schmeckte. Judith und Cord verständigten sich nach einigen lustlosen Anstandshappen durch Blicke, standen auf und mussten angeblich mit dem Hund Gassi gehen. Natürlich wurde ich nicht zum Mitkommen aufgefordert; es war mir klar, dass sie sich bei McDonald’s vollstopfen wollten.
Der nächste Schreck folgte nur wenige Tage später. Schon früh am Tag, es war kurz vor halb acht, hörte ich helle Stimmen von draußen. Ich lief im Nachthemd ans Fenster und sah verwundert zwei kleine Gestalten im Garten, die direkt neben der Bank auf der Erde saßen und spielten. In direkter Nachbarschaft wohnten keine Kinder, aber ich erinnerte mich dunkel, dass die Sommerferien begonnen hatten. Hier in Baden-Württemberg waren wir in diesem Jahr wieder mal besonders spät an der Reihe. Die Kleinen verbrachten wohl ein paar Urlaubstage bei ihren Großeltern und waren ausgebüxt. Ich schüttelte missbilligend den Kopf und erwartete, dass jeden Moment ein aufgeregter Opa um die Ecke kam und die Knirpse wieder einsammelte.
Doch als ich nach einer halben Stunde, frisch geduscht und angezogen, meinen Kaffee auf der Terrasse trinken wollte, waren die
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