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Haben oder Nichthaben

Haben oder Nichthaben

Titel: Haben oder Nichthaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Ufer schwappte. Das war, weil er jetzt, mit hochgezogenen Knien und dem Kopf nach hinten, auf dem Rücken lag. Das Wasser von dem See, der sein Bauch war, war sehr kalt; so kalt, daß es ihn betäubte, wenn er am Rand hineinwatete, und ihm war jetzt außergewöhnlich kalt, und alles schmeckte nach Benzin, als ob er an einem Schlauch gesaugt hatte, um einen Tank auszuheben. Er wußte, da war kein Tank, obschon er einen kalten Gummischlauch fühlen konnte, der scheinbar in seinem Mund Eingang gefunden hatte und jetzt zusammengerollt, groß und kalt und schwer, ganz durch ihn hindurchging. Jedesmal wenn er Atem holte, rollte sich der Schlauch kälter und fester in seinem Unterleib zusammen, und er konnte ihn wie eine große, sich geschmeidig bewegende Schlange in sich fühlen über dem Schwappen des Sees. Er hatte Angst davor, aber obschon es in ihm war, schien es unendlich weit entfernt zu sein; aber was ihm jetzt am meisten zusetzte, war die Kälte.
    Die Kälte durchdrang ihn völlig, eine schmerzende Kälte, die nicht nachlassen wollte, und er lag jetzt still und fühlte sie. Eine Zeitlang hatte er gedacht, daß wenn er sich über sich selbst raufziehen könnte, dies ihn wie eine Decke wärmen würde, und er dachte eine Weile, daß er sich über sich selbst gezogen hätte und er sich zu erwärmen begann. Aber diese Wärme war in Wirklichkeit nur die Blutung, die dadurch entstanden war, daß er seine Knie hochhob, und jetzt, als die Wärme verging, wußte er, daß man sich nicht über sich selbst ziehen konnte und daß man nichts von wegen der Kälte tun konnte, als sie ertragen. Da lag er und suchte mit allem, was er in sich hatte, nicht zu sterben, lange, nachdem er nicht mehr denken konnte. Jetzt war er im Schatten, als das Boot trieb, und es wurde die ganze Zeit über kälter.
    Die Barkasse trieb seit gestern abend zehn Uhr, und jetzt ging es auf Spätnachmittag zu. Nichts war in Sicht auf der Oberfläche des Golfstroms außer dem Golftang, ein paar roten, aufgetriebenen Blasen von portugiesischen Galeeren, keck aufgesetzt auf der Oberfläche, und dem fernen Rauch eines beladenen Tankers aus Tampico auf nördlichem Kurs.

13
    «Na», sagte Richard Gordon zu seiner Frau.
    «Du hast Lippenstift auf deinem Hemd», sagte sie. «Und über deinem Ohr.»
    «Und was soll das hier?»
    «Was soll was hier?»
    «Daß ich dich mit dem besoffenen Kerl auf dem Diwan liegen finde.»
    «Das hast du nicht getan.»
    «Wo habe ich dich gefunden?»
    «Im Dunkeln. Und wo bist du gewesen?»
    «Bei den Bradleys.»
    «Ja», sagte sie. «Ich weiß. Komm nicht in meine Nähe. Du stinkst nach der Person.»
    «Und wonach stinkst du?»
    «Nach nichts. Ich hab hier gesessen und mich mit einem Bekannten unterhalten.»
    «Hast du ihn geküßt?»
    «Nein.»
    «Hat er dich geküßt?»
    «Ja, und es hat mir Spaß gemacht.»
    «Du Miststück.»
    «Wenn du das zu mir sagst, verlaß ich dich.»
    «Du Miststück.»
    «Schön», sagte sie. «Es ist aus. Wenn du nicht so eingebildet wärst, und ich nicht so gut zu dir gewesen wäre, hättest du schon längst gemerkt, daß es aus ist.»
    «Du Miststück.»
    «Nein», sagte sie. «Ein Miststück bin ich nicht. Ich hab versucht, eine gute Frau zu sein, aber du bist so selbstsüchtig und eingebildet wie ein Hahn im Hühnerhof. Immer krähen: ‹Sieh nur, was ich getan habe, sieh nur, wie glücklich ich dich gemacht habe. Jetzt lauf und gacker.› Aber du machst mich nicht glücklich, und ich hab dich satt. Ich hab genug vom Gackern.»
    «Du brauchst gar nicht zu gackern. Du hast nie was produziert, was gackernswert gewesen wäre.»
    «Wessen Schuld war das? Wollte ich denn keine Kinder haben? Aber wir konnten sie uns nie leisten. Aber wir konnten es uns leisten, nach Cap d’Antibes zum Schwimmen zu fahren und in die Schweiz zum Skilaufen. Und wir können es uns leisten, hier runter nach Key West zu gehen. Ich hab genug von dir. Ich kann dich nicht ausstehen. Diese Bradley da hatte nur noch gefehlt.»
    «Ach, laß sie aus dem Spiel.»
    «Du kommst nach Hause mit Lippenstift verschmiert. Konntest du dich nicht wenigstens waschen? Du hast auch welchen auf der Stirn.»
    «Du hast den betrunkenen Knilch geküßt.»
    «Nein, das hab ich nicht. Aber ich hätt’s getan, wenn ich gewußt hätte, was du tatest.»
    «Warum hast du dich von ihm küssen lassen?»
    «Ich war wütend auf dich. Wir haben gewartet und gewartet und gewartet. Du hast dich überhaupt nicht um mich gekümmert. Du bist mit der Person da

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