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Haben oder Nichthaben

Haben oder Nichthaben

Titel: Haben oder Nichthaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Wutanfällen und deinen Eifersüchteleien abgefunden und mit deiner Kleinlichkeit, und jetzt bin ich’s satt.»
    «Und jetzt willst du also mit einem betrunkenen Professor von neuem beginnen?»
    «Er ist ein Mann. Er ist freundlich, und er ist liebevoll, und man fühlt sich behaglich mit ihm, und wir kommen aus derselben Welt, und wir haben Werte, die du niemals haben wirst. Er ist, wie mein Vater war.»
    «Er ist ein Säufer.»
    «Er trinkt. Aber das tat mein Vater auch. Und mein Vater trug wollene Socken, und er legte die Füße auf die Stühle und las abends die Zeitung. Und wenn wir Bräune hatten, dann kümmerte er sich um uns. Er war ein Kesselflicker, und seine Hände waren rauh und aufgesprungen, und wenn er betrunken war, raufte er gern, und wenn er nüchtern war, konnte er auch raufen. Er ging zur Messe, weil meine Mutter es gern sah, und er fastete zu Ostern ihretwegen und für unseren Heiland, aber in der Hauptsache ihretwegen, und er war ein guter Gewerkschaftler, und falls er je mit einer anderen Frau gegangen ist, hat sie’s nie gewußt.»
    «Wetten, daß er mit ‘ner ganzen Reihe anderer gegangen ist?»
    «Vielleicht tat er’s, aber wenn er’s tat, sagte er es dem Priester und nicht ihr, und wenn er’s tat, war’s, weil er nicht anders konnte, und es tat ihm leid und er bereute es. Er tat es nicht aus Neugier oder aus Hahnenstolz oder um seiner Frau zu erzählen, was er für ein großer Mann sei. Wenn er’s tat, geschah’s, weil meine Mutter mit uns Kindern im Sommer verreist war und er mit seinen Kameraden bummeln ging und sich betrank. Er war ein Mann.»
    «Schade, daß du kein Schriftsteller bist, du solltest über ihn schreiben.»
    «Ich wäre ein besserer Schriftsteller als du. Und John MacWalsey ist ein guter Mensch. Und das bist du nicht. Du könntest keiner sein, egal was du für eine Politik oder Religion hast.»
    «Ich habe keine Religion.»
    «Ich auch nicht. Aber ich hatte mal eine, und ich werde wieder eine haben. Und du wirst nicht da sein, um sie mir zu nehmen. So wie du mir alles übrige genommen hast.»
    «Nein.»
    «Doch. Und du kannst ja mit irgendeiner reichen Frau wie Helene Bradley zu Bett gehen. Wie hast du ihr gefallen? Fand sie dich fabelhaft?»
    Er sah in ihr trauriges, verärgertes Gesicht, das vom Weinen hübsch war; die Lippen waren frisch geschwollen wie etwa nach dem Regen, und ihre lockigen dunklen Haare hingen zerzaust um ihr Gesicht. Richard Gordon gab sie auf und dann abschließend: «Du liebst mich also nicht mehr?»
    «Ich hasse schon das Wort.»
    «Schön», sagte er und schlug ihr hart und plötzlich ins Gesicht.
    Jetzt weinte sie mit dem Gesicht auf dem Tisch, nicht aus Ärger, sondern weil er ihr wirklich weh getan hatte.
    «Das war nicht nötig», sagte sie.
    «O doch, das war nötig», sagte er. «Du weißt schrecklich viel, aber du weißt nicht, wie nötig das für mich war.»

    An dem Nachmittag hatte sie ihn nicht gesehen, als sich die Tür öffnete. Sie hatte nur die weiße Decke mit ihren zuckrigen Kupidoschnitzereien, den Tauben und Schnörkeln gesehen, die das Licht von der offenen Tür plötzlich hell beleuchtete.
    Richard Gordon hatte den Kopf gewandt und hatte ihn gesehen, wie er schwer und bärtig da in der Tür stand.
    «Nicht aufhören», hatte Helene gesagt. «Bitte nicht aufhören.» Ihr leuchtendes Haar war über das Kissen gebreitet.
    Aber Richard Gordon hatte aufgehört, und sein Kopf war immer noch zur Tür gedreht, und er starrte immer noch hin.
    «Kümmer dich nicht um ihn. Kümmer dich um nichts. Weißt du denn nicht, daß du jetzt nicht aufhören kannst?» hatte die Frau mit verzweifelter Dringlichkeit gesagt.
    Der bärtige Mann hatte die Tür leise wieder zugemacht. Er lächelte.
    «Was ist denn los, Liebling?» hatte Helene Bradley gefragt, jetzt wieder im Dunkeln.
    «Ich muß gehen.»
    «Weißt du denn nicht, daß du jetzt nicht gehen kannst?»
    «Der Mann da – »
    «Das ist ja nur Tommy», hatte Helene gesagt. «Er weiß von all diesen Dingen. Denk nicht an ihn. Komm, Liebling! Bitte, komm!»
    «Ich kann nicht.»
    «Du mußt», hatte Helene gesagt. Er konnte fühlen, wie sie zitterte und wie ihr Kopf auf seiner Schulter bebte. «Mein Gott, verstehst du denn nichts? Nimmst du denn auf eine Frau überhaupt keine Rücksicht?»
    «Ich muß gehen», sagte Richard Gordon.
    In der Dunkelheit hatte er den Schlag im Gesicht gespürt, der Lichtblitze in seinen Augenäpfeln entzündet hatte. Dann kam noch ein Schlag. Diesmal über

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