Haben Sie das von Georgia gehoert
Prediger. Wieso ist es dann ein solcher Schock, wenn Eugene sich als Heuchler der übelsten Sorte erweist?
Jetzt hör schon auf! Es ist aus und vorbei.
Aber wenn du aus der Vergangenheit nichts lernst, kann sie zurückkommen und dich beißen. Georgia hatte einen großen Fehler begangen. Sie hatte zugelassen, dass sie eine kleine Schwäche für den Mann entwickelte.
Na und? Fehler wurden begangen. Man lernte seine Lektionen. Jetzt war es Zeit, nach vorn zu schauen.
»Was brummst du da?«, fragte Brother.
Georgia schrak zusammen. »Ich brumme nicht.«
»Ach, Georgie, irgendwas stimmt nicht mit dir. Erst finde ich dich da draußen, wo du geheimnisvolle Sachen anzündest. Und jetzt redest du mit dir selbst wie ein verrücktes altes Weib.«
Georgia trat leicht auf die Bremse. »Möchtest du zu Fuß gehen?«
»Ist ja okay, wenn Mama langsam wirr wird«, sagte Brother.
»Aber ihr dürft nicht beide gleichzeitig wirr werden. Ich kann nicht für euch beide sorgen.«
Georgia schnaubte. »Als ob du jemals für irgendwen gesorgt hättest. Du kannst ja nicht mal für dich selbst sorgen.«
Peng! Das saß! Er zuckte zusammen.
Georgia konnte sich selbst nicht ausstehen, wenn sie so klang – eine Schwester wie eine nörgelige alte Hexe. Sie holte tief Luft und versuchte es noch einmal. »Wenn du nur mal einen Versuch machen wolltest, Brother. Überall in der Stadt hängen Schilder, auf denen Hilfskräfte gesucht werden. Du brauchst dir ja keinen richtigen Job zu suchen – aber tu doch wenigstens so, als ob du einen suchtest. Damit wäre Mama ja schon zufrieden.«
»Nein, das wäre sie nicht«, entgegnete er. »Sie ist erst zufrieden, wenn ich tot bin – oder sie. Und selbst dann, wart’s nur ab – wenn wir versuchen, sie unter die Erde zu bringen, wird sie uns noch sagen, wir machen es falsch.«
»Rede nicht so daher.« Georgia schaltete den Blinker ein. »Was um alles in der Welt würden wir ohne Mama tun?«
»Na ja«, sagte Brother. »Zum Beispiel könnten wir atmen.«
»Ich kann prima atmen, vielen Dank. Wenn du es nicht kannst, solltest du vielleicht aufhören zu rauchen.«
»Hier ist es okay«, sagte er. »Jetzt kann ich zu Fuß weitergehen. Danke für den Lift.«
Georgia hielt den Civic eine Straße vor dem T.C. Looney Community Health Center an. Anscheinend waren sie jetzt wieder auf der Highschool, und er wollte nicht, dass die andern mitbekamen, dass seine Schwester ihn hergefahren hatte.
Vor sich sah Georgia den beleuchteten Eingang des flachen Klinkergebäudes und die Silhouetten der Leute, die dort vor dem Meeting noch eine Zigarette rauchten. Die
auffallendste Gestalt war Sims Bailey in seinem unförmigen Overall, dem Flanellhemd und der »Red Man«-Mütze. In einer so kleinen Stadt wie Six Points waren die Anonymen Alkoholiker nicht besonders anonym. Jeder kannte hier die Stammkunden: Candy Lemmon und ihr Mann Ralph, Davis Sanders, dem der Antiquitätenladen gehörte, Carl Wilmot, Raylene Coombs, der kleine Boxley (Ernest? Ernie?), J.T. Cobb von der Savings and Loan Bank und natürlich Ted Horn, Georgias Dr. Mittwoch, der so nett war, es ihr zu sagen, wenn Brother ein Meeting schwänzte.
»Ich hole dich hier in einer Stunde ab«, sagte sie.
»Nicht nötig«, meinte Brother. »Ich und Sims gehen nachher noch Billard spielen oder so was.«
»Jetzt komm, Brother. Du kannst nach einem AA-Meeting nicht trinken gehen.«
»Was ist los – bist du jetzt mein Bewährungshelfer?«
Sie beugte sich über den Sitz und zog die Beifahrertür zu. »Wenn du in einer Stunde nicht hier bist, ist das der Mann, mit dem du darüber reden kannst.«
Er schob die Daumen unter die Achseln und flatterte mit den Fingern. »Was ist bloß aus meiner guten alten Schwester Georgie geworden? Die war viel lustiger. Sie fehlt mir wirklich.«
Würde er es je schaffen, diese höhnischen Sticheleien zu lassen? Sich an die Zeit zu erinnern, als er ein süßer kleiner Junge gewesen war, der seine Schwester Georgie mehr als alles andere auf der Welt liebte?
»In einer Stunde«, wiederholte sie und fuhr los. Im Rückspiegel sah sie, wie er großspurig auf Sims Bailey zuging. Er war immer noch ein so schöner Bengel mit seinem Engelsgesicht und den blonden Locken, die ihn im Lauf der Jahre
immer wieder in Schwierigkeiten gebracht hatten. Niemand konnte diesem Gesicht etwas abschlagen. Niemand kam je auf die Idee, dass ein Junge mit einem solchen Gesicht etwas Böses tun könnte. Deshalb war Brother immer der Frontmann gewesen,
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