Haben Sie das von Georgia gehoert
überlassen?«
»Sie sagt, sie streicht dich aus ihrem Testament, weil du uns die ganze Nacht hiergelassen hast«, erklärte Nathan. »Na und?«, fuhr er fort, als er ihr Gesicht sah. »Hat sie gesagt.«
»Wann hast du mit ihr gesprochen?«
»Die ganze Nacht. Sie hält ja nie die Klappe. Hat mir alles über dich erzählt. Was du immer für’n Ärger hattest, als du in meinem Alter warst.«
Georgia war überrascht, dass der Sheriff sie zusammen eingesperrt hatte. Nein, sagte Nathan, ihre Zellen hatten einander am Flur gegenübergelegen. Is’n kleiner Knast, meinte er.
»Kleiner als der in New Orleans?« Georgia beobachtete seine Reaktion.
Er wollte antworten, aber dann sah er sie an. »Was glaubst du? Dass ich schon mal im Knast war?«
»Warst du nicht?«
»Nur als Besucher.«
»Gut. Freut mich zu hören. Lass uns zusehen, dass es so bleibt.«
»M-hm.«
»Aber du bist schon mal verhaftet worden«, sagte sie.
Nathans Rücken straffte sich. Plötzlich war er einen Kopf größer. »Was?«
»Du hast mich verstanden.«
»Woher weißt du das? Hat Mamaw es dir erzählt?«
»Ich wusste es nicht.« Georgia lächelte. »Du hast es mir gerade bestätigt.«
Er kniff die Augen zusammen. »Wieso willst du mich austricksen?« Er zog die Lippen zu einem kleinen Punkt zusammen und schob ihn an die Seite seines Gesichts – genau wie Georgia es tat, wenn sie sich ärgerte.
Bis zu diesem Augenblick hatte sie es nie wirklich gefühlt. Sie hatte es im Kopf gewusst, war aber nie körperlich von dem Gedanken berührt worden, dass Nathan wirklich ihr Sohn war.
Sie drückte eine Hand auf den Mund und empfand einen geradezu wilden Drang, ihm die Arme um den Hals zu schlingen. Ihr wurde klar, dass er jetzt seit zwei Tagen hier war, ohne dass sie ihn berührt hatte.
Er starrte sie an. »Was ist?«
»Oh«, sagte sie, »o Gott, o Nathan, es tut mir leid. Du hast recht. Ich will dich wirklich nicht austricksen. Haben sie dir zu essen gegeben?«
»Ja.«
»Aber ich wette, du hast immer noch Hunger.«
Er nickte.
Der Türsummer hinter ihnen ertönte. Little Mama erschien mit einem Mann in Uniform, der sie am Arm führte. Sie schob seine Hand weg und wandte sich an Georgia. »Das wurde aber auch Zeit, verdammt.«
Der Mann sagte: »Machen Sie’s gut, Little Mama.« Die Tür summte wieder, und er verschwand.
»Wo, zum Teufel, hast du gesteckt?«, fragte Mama.
»Fang jetzt ja nicht so an! Hab ich dir nicht gesagt, du sollst das Luftgewehr im Schrank lassen?«
»Ich hab denen gesagt, ich hätte keine gottverdammte Tochter, meine Tochter wäre sicher tot, wenn sie mich die ganze Nacht in diesem gottverdammten Höllenloch verrotten lässt!«
»Hör sofort auf zu fluchen«, wies Georgia sie zurecht. »Da unten sind Kinder, die dich hören können.«
»Von mir aus kann der verdammte Billy Graham da unten
sein«, erwiderte Little Mama. »Mir egal, und wenn der verdammte Papst aus Rom da unten ist …«
»Okay, Mama«, sagte Georgia laut. »Ich hab’s verstanden.«
Aus dem Lautsprecher kam ein elektronisches Klicken. »Miss Georgia, ich brauche hier Ihre Unterschrift, wenn Sie so nett sein würden.« Der Deputy schob eine Stahlschublade mit einem Clipboard herüber. Georgia unterschrieb und legte das Clipboard freundlich lächelnd wieder in die Schublade. Der Deputy grinste idiotisch zurück.
Georgia sammelte ihre haftentlassenen Sträflinge ein und trieb sie die Treppe hinunter.
Die Schulkinder standen in Zweierreihen abmarschbereit an der Wand. Sie glotzten Nathan an, den offenkundigen Verbrecher in der Gruppe. Ein frech aussehendes Mädchen mit einem waagerechten Pony bedachte ihn tatsächlich mit dem bösen Blick. Georgia musste sich beherrschen, um ihr nicht die Zunge herauszustrecken.
Irgendwie gelang es Little Mama, still zu bleiben, bis sie das Gebäude verlassen hatten. Es war unfair, dachte Georgia, aber wenn man sich vielleicht mal wünschte, sie würde etwas vergessen, dann tat sie es nicht. Zum Beispiel, dass sie die Nacht im Gefängnis verbracht hatte. Wieso konnte ihr das nicht einfach entfallen?
Nathan trottete hinter ihnen her und wippte mit dem Kopf im Takt einer unhörbaren Musik. Lautlos tat er kund, dass er mit diesen zankenden alten weißen Ladys nichts zu tun hatte. Aber es schien ihm gut zu gefallen, wenn Little Mama fluchte. Er kicherte bei jedem »gottverdammt« und »Bullshit«. Georgia war fassungslos bei der Vorstellung, dass die beiden die ganze Nacht miteinander geredet hatten. Der
Junge
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