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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Söhnen nichts zu tun«, sagte ich.
    » Doch, da werden meine Söhne täglich gerächt.«
    Arzt, 1931
    Nach dem 20. Juli wurden in unserer Stadt einige angesehene Männer verhaftet und in Marschkolonne durch die Stadt geführt. Die kannte man. Das waren ehemalige SPD ler und sogenannte » Reaktionäre«. Ein Lebensmittelhändler war auch dabei.
    Im Sommer war das, es war warm, die hielten sich sehr würdig und aufrecht, auf dem Schulhof lagerten sie, und wir Schüler gingen da vorbei.
    Lehrer
    Als das Attentat vom 20. Juli bekanntwurde, hat eine Nachbarin spontan » schade« gesagt, daß das mißglückt ist. Die wurde sofort abgeholt und ist nie wieder erschienen.
    Lehrer, 1928
    Wir hatten einen Lehrer, der hieß Weiß, der war Vierteljude. Das war ein Neutrum von Lehrer, ein Lehrer, sonst nichts. Auf Umwegen erfuhren wir, daß er im Ersten Weltkrieg das EK I erworben hatte, und einmal erschien er staubbedeckt. Was war geschehen? Er war in seinem Haus verschüttet gewesen, man hatte ihn mit Schweißbrennern herausholen müssen. Und am selben Tag geht der Idiot doch noch zur Schule!
    Nach dem 20. Juli wurde alles, was so herumlief, eingesperrt. Und auch Dr. Weiß, in einem offenen Lastwagen fuhr er aus der Stadt. Möller, ein Klassenkamerad, sagte: » Das ist richtig.« Das hat uns geärgert. Wir fanden das nicht richtig. Einfach, weil wir ihn ganz gern mochten.
    Dr. Weiß kam in ein Arbeitslager, Hochofen oder was weiß ich. Wir haben überlegt, da müßte man doch eigentlich hin und dem was zu essen bringen. Allein schon, um den Möller zu ärgern. Aber aus einer gewissen Trägheit ist das nichts geworden. Eine der vielen verpaßten Gelegenheiten. Er hätte sich bestimmt gefreut.
    Wir waren alle nicht einverstanden mit dem Möller und haben ihm das auch deutlich zu verstehen gegeben.
    Man hatte zuwenig Informationen. Fernsehen, Zeitungen und verschiedene Radiostationen, das gab’s ja alles nicht.
    Beleuchter, 1927
    1944, in Berlin, heute Ostbahnhof, da kam ich vorbei, und da war eine große Anzahl von Polizeiwagen aufgefahren, und da hatten sich zwei Ketten von Polizisten gebildet, grün, mit Tschako auf, vom Eingang bis zum Wagen, und dann kamen sie heraus aus dem Bahnhof, rechts und links je ein Polizist und dazwischen ein Zivilist an der Knebelkette. Ich konnte mir das gar nicht richtig erklären. Wir wußten überhaupt nicht, was da passierte. Etwas Politisches mußte es sein, aber was es war, wußten wir nicht.
    Beamter, 1929
    Nach dem 20. Juli erzählte meine Mutter plötzlich beim Mittagessen, daß die Gestapo die Attentäter und Widerstandskämpfer vom 20. Juli an Fleischerhaken aufgehängt hätte. Und zwar meinte sie, die Gestapo hätte den Leuten die Haken von unten durch die Unterkiefer gestochen.
    Einerseits war es erstaunlich, daß sie das so offen aussprach, andererseits war die Phantasie mit ihr durchgegangen, denn so sind die Männer damals ja nicht aufgehängt worden. Sie sagte auch noch, Hitler habe das filmen lassen.
    Angestellte, 1922
    Im Arbeitsdienst hatte ich eine Freundin, die im Studentenuntergrund war, die hat mir das erste Mal davon erzählt. Gesehen hat sie es selber nicht, aber gehört.– Das war ein unglaublich mutiger Mensch. Sie saß oben auf der Pritsche und las.– » Was liest du da?« wurde sie gefragt.– » Ich lese den größten Schelmen- und Lügenroman dieses Jahrhunderts.« Das war: Mein Kampf.
    Hausfrau, 1909
    Es hieß immer Theresienstadt– da können Sie ja noch froh sein, da kommen alle Juden hin, die arisch versippt sind. Eine Nachbarin, von der keiner wußte, daß sie Jüdin war, getauft, mit’m Christen verheiratet und zwei Söhne, die kam 44 nach Theresienstadt. » Da können Sie ja noch froh sein!« hieß es. Und die kam später auch wieder. Aber die Angst, die die ausgestanden haben mag, das kann man sich ja überhaupt nicht vorstellen.
    Von der kam auch Nachricht, daß sie angekommen sei, so ’n bißchen verschlüsselt, daß sie da Medikamente brauchte und so was.
    Agronom, 1924
    1944, auf’m Kartoffelacker hat mir ein Freund die » Zehn kleinen Meckerlein« aufgesagt: » Man bracht’ ihn nach Oranienburg, da waren’s wieder zehn!« Also…
    Chemiker
    Als ich mal mit meiner Freundin zum Baden ging und da durch die Stadt latschte, erzählte sie mir, daß da Juden durch die Stadt geschleust worden seien, in Waggons, die nach Polen kämen und dort umgebracht würden.
    Das war bei mir der platzende Knoten.
    Unternehmer
    Mehrfach habe ich von KZ s gehört, und

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