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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ein Mann einen so mitreißen konnte. Ich war 19 Jahre alt damals, Bürgerssohn.
    Kunstmaler, 1914
    1934 fuhr ich mit dem Fahrrad nach München. Diese Fahrt endete sensationell. Das war grade während der Röhm-Revolte, das wußte ich gar nicht.
    Ich fuhr weiter nach Bad Reichenhall. Da wollte ich illegal über die Grenze, weil ich die 100 Mark nicht hatte, die das kostete. Und da kam ich bei Gewitter in eine Gesellschaft von Bayern, die Säcke trugen. Ich mußte denn auch einen Sack mit tragen. Plötzlich verschwanden sie, und ich saß mit 6 Säcken illegaler Druckschriften da, und die SS hat mich mitgenommen. 14 Tage war ich in einem Münchner Gefängnis, und da hab ich erlebt, wie SA -Männer eingeliefert wurden. Auf dem Hof wurden welche erschossen. Und die Leute gaben mir ihre Adressen und sagten, ich soll die Frau grüßen. Einer mit goldenem Parteiabzeichen. Das war der erste Antinazi, der hat mich aufgeklärt.
    Von den ganzen Leuten ist keiner rausgekommen. Ich hab’ den Frauen dann Bescheid gesagt.
    Buchhändler, 1922
    Es war 1934, er hielt sich zufällig in Selm auf, da war ein Kanal gebaut worden vom Reichsarbeitsdienst, und während er sich feiern ließ, bekam er die Nachricht vom Röhm-Putsch. Und da mußte er in Hamm auf dem Bahnhof übernachten, und ich erinnere mich noch, daß eine Menge Polizisten aus der Umgebung zusammenkamen und seinen Sonderzug bewachten. Er fuhr an meinem Elternhaus vorbei, er stand im Wagen, energische Gesichtszüge, aufrecht, wie ein Diktator.
    Die Leute standen da, aber die beeilten sich nicht, ihn zu sehen.
    Ein Mann
    Eine Woche nach der Röhm-Revolte, als da die ersten Soldaten mit Hoheitsadler auf der Uniform erschienen, da gab mir das einen Stich, weil dadurch eine Entmachtung symbolisiert wurde.
    Kaufmann, 1916
    Ich sah ihn in Bad Godesberg, nach dieser Röhm-Geschichte. Es war ein dunkler, stumpfer Nachmittag, er stand im Wagen, und ich wunderte mich, daß man keine Lust hatte, » Heil!« zu schreien.
    Lehrer, 1904
    Sie wollen wahrscheinlich wissen, ob man fasziniert war? Unbedingt! Wenn der Mann einen anschaute– also, das ging einem durch Mark und Bein. Bevor wir junge Leutnants wurden, hat man uns in den Sportpalast befohlen, da kam er dann. Durch die Propaganda wurde ja alles angesprochen, Auge, Ohr usw. Und er hat ja auch was geleistet. Er hat immerhin in der Weimarer Zeit die größte Partei auf die Beine gebracht. Und dann muß man das alles in der Zeit sehen. Für uns bedeutete Deutschland noch etwas, da lief einem ein heiliger Schauer über den Rücken. Das kann sich heute ein junger Mensch nicht mehr vorstellen. Wir waren ja auch schwarz-weiß-rot. Ich kann mir vorstellen, was in so irgendeiner alten Jungfer vorgeht, wenn sie vom Kaiser sprechen hört. So ist das mit Hitler auch ungefähr, er mag gewesen sein, wie er will.
    Nachher ist er dann ja größenwahnsinnig geworden, als er dann immer mehr Erfolg hatte.
    Hausfrau, 1920
    Wir mußten dem freiwillig zujubeln, so haben wir immer gesagt. Und ich hab’ tüchtig mitgeschrien, wegen Großmutter, die war nicht arisch. Ich war die einzige in der Familie, die gearbeitet hat. Ich hab’ tüchtig » Heil!« gebrüllt.
    Kapitän, 1922
    In Magdeburg, 1934. Ich hab ihn nur aus der Ferne gesehen. Einen bestimmten Eindruck hatte ich nicht. Fahnenschwenken und klingendes Spiel. Ich war ja in der Marinejugend.– Danach haben wir auf unseren Schiffen gesessen und gefeiert.
    Redakteur, 1921
    Mein Vater war Österreicher, deutsch-national und Judenhasser. War sehr für den Anschluß an Deutschland.– Er behauptete, die Juden hätten sein Geschäft ruiniert, das stimmte gar nicht, er hatte zu wohl gelebt, und meine Mutter mußte durch Nähen und Schneidern das Geld zum Unterhalt verdienen.
    Unter den Kunden gab es eine Frau Weil, die hatte ein Modengeschäft. Recht nette Leute, die gaben meiner Mutter was zu verdienen. Wir Kinder hatten den Auftrag, immer schön » Guten Tag!« zu sagen. Mein Vater sagte auch » Guten Tag« und hintennach: » Du Saujud!«
    1934 waren die Weils eines Tages nicht mehr da. Da hörte man, die hätte man nach Dachau geschickt. Und später erfuhr man verschiedenes, der und der sei auch nach Dachau gekommen. Dachau wär’ ja nicht so schlimm, wurde gesagt. Die wurden da umerzogen, durch politische Schulung und Arbeit.
    Lehrer, 1924
    Mein Vater hat mir mal gesagt: Was sollt ich machen, als Beamter, ich hatte zwei Kinder– sollt’ ich mit ’m Bauchladen rumziehen? Und da bin ich eben in die SA

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