Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
Er hob den Arm zum Deutschen Gruß. Dann wußten wir nichts mehr. Er wußte auch nichts mehr. Es hatte auch niemand vor, weitere Blumenbeete zu plündern. Aber der Zug fuhr und fuhr nicht. Offensichtlich lag in Wilhelmshaven der rote Teppich noch nicht aus, oder die Admirale waren noch nicht aufgestanden.
Dann sangen wir » Ich hang an di min Leven lang, min levet Ammerland…« Das war so eine Ammerländer Nationalhymne zur Zeit unserer Großeltern gewesen. Aber die Alten hatten sie nicht mehr so richtig im Kopf, und wir Jungen hatten sie nie so richtig gelernt. Der Gesang erstarb, bevor die erste Strophe zu Ende war. Weshalb ging er nicht weg? Wahrscheinlich dachte er dasselbe von uns. Wir waren sehr höflich zueinander, keiner wagte den ersten Schritt. Wir standen und hatten Heimweh nach der Schule. Endlich, endlich setzte sich der Zug in Bewegung. Wir jauchzten erleichtert » Heil!« und kehrten dankbar zu unsern Schulbänken zurück, wo wir uns setzen konnten.
Dann mußten wir einen Aufsatz schreiben: » Unser Führer in Westerstede«. Wir schrieben sehr begeistert, wußten wir doch, was man von uns erwartete.
Rentner, 1923
Unser Klassenlehrer: Deutsch und Geschichte, ein an sich ganz lieber Mensch, kam eines Morgens in die Klasse mit so besonderem Blick. Er stellte sich ans Fenster und sah uns bedeutsam lächelnd an, Ja, Kinder, was soll ich sagen, ich habe gestern den Führer gesehen.– Er war auf einer Tagung gewesen, und da hatte sich der Hitler wohl mal kurz sehen lassen, war durch die Reihen geschritten oder was. Und dieser Lehrer war dann wie von Glück übergossen und ganz erfüllt von seinem Erlebnis. Es war schwer, zur normalen Unterrichtsroutine zurückzufinden, denn sein Glückserlebnis übertrug sich nicht so ohne weiteres auf uns. Diese älteren Herrschaften sahen den Mann mit ganz anderen Augen, denen saß der Erste Weltkrieg noch in den Knochen, und vor allem Versailles, das ja gemessen an den Folgen des Zweiten Weltkrieges ganz bedeutungslos war. Heute kann sich niemand mehr vorstellen, wie diese Leute in ihrem Stolz verletzt waren, Ehre und so weiter. Die Umstände, unter denen der sogenannte Friede geschlossen wurde, waren ja auch in höchstem Maße entehrend. Die deutsche Delegation hinter Stacheldraht und wie vor einem Tribunal. Damals sagten ja sogar die Sozialdemokraten: Diesen Friedensvertrag dürfen wir nicht unterschreiben.
Beamter, 1924
Juli 1936. – Wir machten eine Radtour, mein Freund Willy und ich, jeder mit 20 Mark im Brustbeutel, Jugendherbergen und beim Bauern geschlafen. In einem Dorf, das sahen wir schon von weitem, hielten drei oder vier große schwarze Limousinen, SS -Leute saßen auf den Trittbrettern, und in dem Kaffeegarten der Wirtschaft, von der Dorfbevölkerung wortlos bestaunt, saß Hitler mit ein paar Herren und auch Damen. Er saß an dem mit Blumenkästen bestückten Zaun und trank Kaffee, er trug eine Fliegerkappe, die Schlappen hatte er über den Kopf gelegt, der rechte Arm hing so über die Blumenkästen, der baumelte nach draußen. – Die Leute umstanden ihn, wie im Zoo, es kamen immer noch welche gelaufen, auch Kinder, barfuß, Hühner, Hunde, wie das so ist auf dem Dorf. Mein Freund Willy war helle, er sagte: » Komm, wir gucken uns das mal an.« Er war blond und entsprach 100 Prozent dem damaligen nordischen Ideal. Als wir uns eben herangedrängt hatten, brach die Gesellschaft auf. Strammstehen der SS -Leute, ein paar Heilrufe der Bevölkerung, und dann kam Hitler direkt auf uns zu, und Willy dann auch: » Heil!«, stramm und gottesfürchtig. Hitler stutzte und fragte ihn nach Namen und Alter und gab ihm die Hand. Ich stand dahinter, und ich kriegte ein Patscherl an die Wange. Und dann stiegen sie in die Autos und fuhren davon. Eine Staubwolke – die Straße war nur mit Schotter belegt. Wie grotesk der Mann mit der Fliegerkappe aussah, das hab ’ ich damals gar nicht so empfunden, das ist mir erst auf Fotos klargeworden, die ich dann viel später mal gesehen habe. Die Wagen waren ja offen, und da zieht es ja wohl auch ganz schön, er war vielleicht empfindlich an den Ohren. Ein im Grunde menschenfreundlicher Eindruck ist geblieben, der sich auch nicht durch spätere Erlebnisse korrigieren ließ. Noch heute denke ich an diesen Sommertag und an das Dorf, in dem wir uns dann noch eine Himbeerbrause genehmigten, und zwar an dem Tisch, an dem der Führer gesessen hatte, die Stühle standen noch durcheinander. Meine Mutter zu Hause, die wollte das dann
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