Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
Vorsokratiker blieben etwa 40 bis 50 Hörer im Saal zurück, um sich von den günstigen Fensterplätzen aus einen der seltsamsten » Aufmärsche« jener Zeit anzuschauen: die Prozession– anders kann man es kaum nennen– führender deutscher Juristen zu einem Staatsakt in der Staatsoper, wo Hitler zu ihnen sprechen sollte. An der Spitze des Zuges bewegten sich feierlich langsam die Richter des Reichsgerichts Leipzig, die eigens nach Berlin beordert worden waren, in ihren roten Samtroben, vorweg der Präsident des Reichsgerichts Erwin Bumke. Hinter den Richtern die Rechtslehrer deutscher Universitäten, unter ihnen der damalige Rektor der Berliner Universität, der Strafrechtler Eduard Kohlrausch, ein Altliberaler.
Es war für jeden Menschen mit einem normalen Rechtsbewußtsein ein tief beschämender Anblick, daß sich die berufenen Hüter des Rechts in so demonstrativer Weise vor dem Zerstörer des Rechtsfriedens und dem Vernichter der Menschenrechte bloßstellten und ihm huldigten, sei es aus Furcht, Opportunismus oder auch » Überzeugung«. Jedenfalls reagierten die studentischen Zuschauer mit Gelächter und ironischen Anmerkungen. Wäre nur ein einziger Angehöriger der NS -Studentenschaft zugegen gewesen, die wären sofort an Ort und Stelle abgeführt worden. Nichts geschah. Auch später nicht. Demnach waren also durchweg Gegner oder Indifferente im Saal. Übrigens schwiegen die » Lästerer« keineswegs, als wenig später, nachdem der Zug der juristischen Würdenträger im Opernportal verschwunden war, der Mercedes mit Hitler und seinen Begleitern vorfuhr. Infolge der Absperrung waren nur wenige Menschen vor der Oper versammelt, um ihr Jubelsoll zu entrichten.
Bei dieser Gelegenheit sah ich Hitler das erste Mal in meinem Leben leibhaftig, allerdings aus etwa 50 Metern Entfernung. Er blieb nach dem Verlassen des Wagens wenige Sekunden stehn, das Gesicht zur Straße gewandt, um mit der berühmten Geste des angewinkelten Arms zu grüßen. Mir erschien er wie eine Marionette, und den andern Studenten mag er kaum anders erschienen sein. Denn außer den ironischen Glossen war kein Anzeichen irgendeiner Emotion wahrzunehmen.
Rentner, 1901
Im Vorbeifahren. Ich weiß bloß von einer Frau, die hat Hitler mal die Hand gegeben, da hat sie sich ’n paar Tage lang die Hand nicht gewaschen.
Oberstudiendirektor, 1909
1935/36 hab’ ich ihn gesehen, durch riesiges Spalier mit riesiger Begeisterung. Das kann man der Jugend heute gar nicht mehr verständlich machen.
Wenn man heute so gewisse Sachen beobachtet, die Minoritäten… Linksruck erzeugt Rechtsruck. Die Frage ist: Wer findet als erster einen » Führer«, und dann ist die ganze Demokratie zum Teufel. Aber das sehen diese Leute nicht ein, und wir Älteren haben Angst davor.
Männer machen auch heute noch Geschichte. Die Masse schreit auch heute noch nach dem » Führer«: Kennedy, Brandt, das ist doch ein Beweis.
Buchhändler, 1925
Mai 1936.– Es ging die Sage, wer 1000 Autonummern des Opel Olympia gesammelt hat, der kriegt ein Fahrrad. Wer 100 gesammelt hat, kriegt einen Fußball.
Wir hockten am Marktplatz und notierten eifrig. Die Nummern haben wir dann in der Schule auch ausgetauscht. Aber es war unvorstellbar, daß man das schaffte, 1000 Nummern zusammenzukriegen.
Man saß in kurzen Hosen am Straßenrand.
Buchhändlerin, 1922
Es war am 11. Juni 1936. Das Datum habe ich deshalb behalten, weil meine Mutter Geburtstag feierte. Sie hat ihm schwer übelgenommen, daß er ihr sozusagen die Schau gestohlen hat. Er war auf dem Weg nach Wilhelmshaven (um ein Panzerschiff zu taufen?) und hielt mit seinem Sonderzug über Nacht hier auf dem Bahnsteig. Die Bäckerjungen und Milchmänner hatten dafür gesorgt, daß man es gleich nach dem Aufstehen wußte. Anstatt zur Schule zu trödeln, rannte man zum Bahnhof. Da stand ein sehr langer Zug, davor standen sehr viele Menschen. Aus einem Fenster sah unser Führer Adolf Hitler auf uns herab. Wir sahen zu ihm hinauf. Wenn man die Absperrung durch SS -Leute für ein Gitter nahm, war es wie in einem Zoo. Wir schrien: » Heil!« Er hob den Arm zum Deutschen Gruß. Ab und an reichte man ihm ein Kind mit einem Blumenstrauß. Wir fotografierten zu ihm hinauf. Neben ihm fotografierte einer zu uns hinunter.
Als wir genug » Heil!« geschrien hatten, sangen wir ihm etwas vor. » Siehst du im Osten das Morgenrot?« und » Es zittern die morschen Knochen« und » Wo die Nordseewellen…« und schließlich das Horst-Wessel-Lied.
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