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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Ost-West-Achse herunter, diese Prunkstraße, es war alles abgesperrt. Und über diese Straße ging irgendwo die U-Bahn, da war ein U-Bahnhof, und da dachte ich, oh, da oben, da hast du ja einen schönen Überblick, löste mir eine Karte und stellte mich da hin. Das dauerte aber nicht lange, da wurde ich weggejagt.
    Volksschullehrerin, 1921
    Ich? Ja, bei der Olympiade, da war ich ja noch ein Kind, 15 war ich da, da war ich grad in den Ferien bei meinen Verwandten in Berlin, und da stand ich mit meiner Tante und meinem Onkel, das muß an der Straße des 17. Juni gewesen sein, in der Nähe der Siegessäule, und er kam da Unter den Linden lang durchs Brandenburger Tor und fuhr dann die heutige Straße des 17. Juni entlang, und da irgendwo haben wir gestanden, ’n bißchen einsam, denn um uns herum waren lauter Österreicher, und die waren ja närrisch! Die hörten ja gar nicht wieder auf zu brüllen, die waren ja viel schlimmer als wir.
    Und nun kam die Kolonne endlich, und die Kinder bekamen Fähnchen, ich winkte mit der Hand, und die eine Österreicherin, die war so böse, die hat ganz verpaßt, nach dem Führer zu sehn, denn ich hab’ ihr die Aufnahme verpatzt durch mein Winken, und dadurch kam sie in einen Disput mit meinem Onkel und machte ihm nun Vorwürfe, daß er mich da vorne hinließ und ich ihr die Aufnahme nun verpatzt hatte. Und mein Onkel nahm mich nun in Schutz und sagte: » Dafür kann doch das Kind nichts. Dann hätten Sie den Apparat ’n bißchen höher halten müssen.« Und inzwischen war nun die ganze Chose vorbei.
    Menschen über Menschen und Jubel über Jubel. Er hat gestanden. So im Vorbeifahren, da hat man eigentlich keinen Eindruck. Mächtig viel Menschenmassen, und mit Leitern und mit Schemeln und mit was weiß ich was, da hatten ja manche schon ich weiß nicht wieviel Stunden vorher gestanden. Das war der Weg zur Eröffnung der Olympiade, er fuhr ins Stadion. Und wir blieben dann noch stehn, denn irgendwie kam dann noch der Fackelläufer, entweder kurz vorneweg oder hinterher, also den Fackelläufer haben wir auch gesehen mit dem Olympiafeuer. Und nun weiß man nicht, ob alle Leute nur wegen Adolf Hitler da waren oder wegen dem Fackelläufer.
    Nachher hat mich immer geärgert, daß die Österreicher von nichts gewußt haben wollten, und als Kind hatte ich das ja nun erlebt.
    Förster, 1916
    Im Olympiastadion. Das war ja die Begegnung, die Hunderttausende hatten. Wenn er dann in seine Loge trat und so grüßte. Unwahrscheinliche Begeisterung. Heute frage ich natürlich: Wie war das möglich? Ich neige etwas dazu, emotional zu empfinden, auch heute noch. Damals war ich hundertprozentig, und das waren fast alle. Mitgerissen ja auch durch den äußeren Erfolg, den es ja damals zunächst noch gab. Die heutige Jugend kann das nicht mehr begreifen, Besetzung des Rheinlandes, das erste Mal, daß Deutschland sich kraftvoll zeigte.
    Die Sudetenkrise war mir dann ganz unheimlich. Schreckliche Angst hatte ich da. Auch meine Klassenkameraden. Donnerwetter, sollte es jetzt Krieg geben? Rannten da im Oldenburger Park herum.
    Lehrer, 1922
    Auf der Olympiade, wir saßen in Block 14, und daneben saßen der Führer und das diplomatische Korps, Luftlinie vielleicht 80Meter. Alle Ferngläser richteten sich auf ihn, jeden Knopf hab’ ich gesehen. Mein Vater sagte: » Kuck da nicht immer hin.« Es gab aber auch viele Leute, die ostentativ nicht hinguckten. Sonst wurde im Stadion nicht die geringste Notiz von ihm genommen, die Veranstaltungen wurden abgewickelt, als ob er nicht da wär’.
    Draußen standen Wagen mit ein, zwei Hundertschaften Leibstandarte bereit, für alle Fälle.
    Ich hab’ ihn ganz stur angeguckt. Und wenn man ihn stur anblickte, guckte er weg. Er war immer offiziell, nie gelöst. Ich hab gedacht, so jung, wie ich damals war, was ist eigentlich mit diesem Mann?
    Fahrzeugschlosser, 1916
    Auf den Olympischen Spielen 1936 hat er mir einen Orden überreicht, einen Verdienstorden. Ich habe gedacht: Ich will Politiker werden, und der ist Politiker geworden. Weil ein Politiker immer blöd ist, sonst würde er es nicht werden. Der hat doch damals gesagt: » Und somit habe ich mich entschlossen, Politiker zu werden.« Und nur der, der nichts wird, wird Politiker.
    Es war ja üblich, daß man ihm die Hand gereicht hat. Wenn ich ihm auf die Hand gespuckt hätte, dann hätt’ mich die SS geschnappt, und hätten sie mich vergast. [Lacht.]
    Wenn ich den Krieg überlebt habe, dann hab’ ich’s nicht dem

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