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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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mir ein Paar dauerhafte Wanderschuhe gekauft aus dem Schuhhaus Levy. Der Namenszug der Firma trug mir einen Verweis der Kontrolleure ein.
    Am Morgen am Bahnhof treffe ich den Kollegen » Uschi« aus Berlin, den wir die » Flatternden Fahnen« nannten, weil alle seine Jubelartikel des » Reiches« mit diesen Worten begannen. Er war schon ziemlich blau und machte gefährdende Bemerkungen über das Ereignis.
    Ich begab mich auf den Patscherkofel, diesen sympathischen Rundberg hinter Innsbruck. Traf bei der Abfahrt einen einsamen Skiläufer, der noch nicht wußte, ob er nun für oder gegen den Führer sein würde. Sehr vorsichtig brachte ich gewisse Bedenken vor.
    Im Arlberger Hof viele Fremde. Ich bestellte einen Mokka– in diesem Augenblick ging das Gejubel los, alles drängte zum Fenster, ich saß genau dort. Auf langsamen Reifen fuhr A. H. vorbei, sechs bis sieben Meter von meinem Platz entfernt, mit steifem Arm sein liebes Tirol grüßend. Wieder dieses merkwürdige grau-schlammige Gesicht, diese Puppensteifheit, diese Starre, dieser durchgedrückte Rücken, unbeweglich, selbst die Klangwellen des Jubels brachten diese Figur nicht zum Wanken. Da ich meinen Friedensmokka in der rechten Hand hielt, konnte ich die Hand nicht erheben zum Deutschen Gruß. Mit dem Abendzug zurück in den Norden. Aus allen Tälern rund um Innsbruck waren die Bauern gekommen in ihren wunderschönen Trachten, den stolzen Hüten, dem alten Schmuck, den neuen Täuschungen. Eine schöne alte Bäuerin sagte zu mir: » Gell, der ist mehr als der Herr Jesus.«
    Eine Frau, 1923
    Ich habe Goebbels 1938 in Innsbruck gesehen. Da fuhr der… alles stand an der Straße, da kam er angefahren, alles schrie und jubelte, langsam fuhr er vorüber, und wir waren froh, daß wir ihn gesehen hatten. » Nun kann uns nichts mehr passieren«, dachten wir. Die Bevölkerung freute sich, das war ganz spontan.
    Kaufmann, 1932
    Ich war in Mauerkirchen, 12 Kilometer von Braunau, da hab’ ich Führers Geburtstag erlebt, und da sah ich Bötchen auf dem Inn und mußte 8 Tage Lokus schrubben, weil mich die Bötchen mehr interessiert haben als der Adolf. Bei den Pimpfen war das. Ich hab’ da immer zu den Bötchen hingeguckt statt zum Adolf. Heut’ noch seh’ ich Bötchen gern.
    Ein Mann, 1914
    März 1938 in München, auf der Einfahrt nach der Heim-ins-Reich-, nach der Österreich-Sache. Unheimlich viel Menschen. Hitler vorn im Wagen, dahinter Göring, alle mit erhobener Hand, durch die Spaliere der SA - und SS -Leute, es war Abend, die trugen Fackeln. Ein eisernes Gesicht. Kam sich vor wie ein Imperator.
    Bibliothekar, 1922
    Das war vor den Wahlen zum Anschluß von Österreich. 1938 im März. Ich war im Jungvolk, gelangweilt, und da fuhr er an der Südseite des Doms in Köln vorbei, am Chor also, stand im Auto, wie man das gesehen hat, ich war 15 Jahre alt.
    Die Sache hatte etwas Faszinierendes an sich, weil alle Augen sich auf einen Mann richteten, der schlicht und überzeugend dastand, ohne Hast, geradezu beruhigend. Dies braune Haar. Er fuhr langsam vorbei, dies übliche Handaufheben, großer Jubel, durchaus verständlich.
    Beamter, 1906
    In München, 1938, nach der Österreich-Geschichte. Abends. Es war geisterhaft, ’n bißchen komische Beleuchtung, am Marienplatz. Unwirklich. Vielleicht kommt es einem heute so vor. Es war unheimlich.
    Apothekerin, 1912
    Ich hatte sogar die Ehre, als er im Haus der Deutschen Kunst war, da hat er Kaffee getrunken. Ganz aus der Nähe. Ein fieses Mannsbild, hab’ ich gedacht.
    Schriftsteller, 1920
    Eine » Autokaskade« war das durch die Prinzregentenstraße, wir waren zufällig da. Immer ein Auto und dann ein Sicherheitsauto.
    Ich war negativ erschüttert, ich hatte noch nie ein so nichtiges Gesicht gesehen, ich versteh’ auch heute noch nicht… Ich meine manchmal, das war ein Loch, in das man was hineingekippt hat.
    Verleger, 1913
    In München, als er sich mal eine dieser Baustellen ansah. Da hatte er einen Velourshut auf und einen schlechten Sportanzug an. Was hat der Mann für eine schlechte Haltung! Und was ist der klein! hab’ ich gedacht.
    Der war kleiner als Sie. Wie groß sind Sie?
    Ministerialdirigent, 1927
    » Der Freischütz«, das war meine erste Oper. Die Hauptheldin war eine dickliche Mamsell mit Zöpfen.
    Die Szene, wie der die Kugeln gießt in der Wolfsschlucht. Bleiernes Nachtschwarz. Und der Platz, wo der die Kugeln goß, war in silbernes Licht getaucht. Von irgendwoher ertönte dann die Stimme: » Samuel

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