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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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in meiner Erinnerung eingenistet.
    Bahnbeamtin, 1921
    Ob ich Hitler gesehen habe und wie das war?
    Hitler sah ich nur einmal, anläßlich des Horthy-Besuchs in Hamburg. Wir warteten sehr lange in einer riesigen Menschenmenge Ecke Neuer Jungfernstieg/Esplanade, bis die Wagenkolonne kam. Admiral von Horthy und der Führer standen im Auto. Hitler war eher klein, sah aber fabelhaft aus– im Augenblick des Vorbeifahrens. Mütze tief im Gesicht, Bart schwarz, Teint hellbraun. Als alles vorüber war, meinte eine ganz Einfältige, ob er sich möglicherweise wohl geschminkt haben könnte? Wir Mädchen waren empört, allein schon der Gedanke!
    Kaufmann, 1926
    Ich hab’ ihn gesehen, als er in Hamburg den Admiral Horthy vom Schiff abgeholt hat. Ich war Hitlerjunge, unser Fähnlein war da hinzitiert zum Papierfähnchenschwenken. Das waren Sekunden. Ich fand keine Diskrepanz zwischen dem Offiziellen und dem Persönlichen. Er war eine Mischung von Muß und Wollen in unserer Beteiligung. Das kam wohl auch daher, daß unsere Einflüsse von der naiven Bewunderung unseres Lehrers für Hitler und der Skepsis meines Vaters, der Freimaurer war, herrührten.
    Hausfrau, 1902
    An Hitlers Geburtstag hatte mein ältester Sohn Geburtstag, und da konnte der niemals richtig feiern,er war ja in der Hitlerjugend–, an dem Tag mußten die immer antreten und marschieren, der hat den verflucht! Morgen werde ich mit ihm telefonieren, der ist ja in Hawaii– und der hat das noch immer in schrecklicher Erinnerung, sagt immer: » Weißt du noch, Mutti, wie wir immer dahin gehen mußten, diesen Hitler sehen?«
    Kaufmann, 1931
    Wir haben ihm ein Glückwunschtelegramm geschickt, die gab’s auf der Post zu kaufen, 1938, zu seinem 50. Geburtstag. Jedes der Kinder eins.
    Eine Frau, 1907
    Ich treffe Kollegin Anka, ehemals Geliebte des Propagandaministers und oft in Gesellschaft Hitlers: » Mitkommen, Frau Ruth, Führers Geburtstag!«– Was treibt einen Nichtsympathisanten zu einem solchen Ereignis? Nichts als Neugier.– Eine Blumenfrau mit einem Korb voll Schlüsselblumen: strahlendes Gelb zwischen grauen Mauern: » Führers Lieblingsblumen!« Ich dachte immer, der Blaue Enzian oder das hochgemute Edelweiß… aber woher nehmen in Berlin? Also Primeln. Alle kaufen. Der Platz vor dem Schauspielhaus, zwischen Französischem Dom und Deutschem, hieß er nicht früher » Gendarmenmarkt« und heute » Reichskanzlerplatz«?
    Volk und Volk. Hab immer Angst gehabt vor viel Volk, und suchte Schutz an einer Wand. Volk fing an zu brüllen, schwenkte Primeln, und da– auf dem von Speers Genie gestylten Balkon das Geburtstagskind! Braun-khaki und schlammfarben, heller, grauer Schlamm. Es brüllte das Vok, seines, brüllte. Man schwenkte Primeln, schwitzte, verdrehte die Augen. Gott sei Dank war es so eng, daß ich den Arm nicht heben konnte. Was der Schlammfarbene brüllte, konnte man nicht verstehen, aber man erlebte, was Hysterie heißt. Primeln flogen in die Luft, wurden zertreten. Ich konnte mich befreien und war um eine Erfahrung reicher: VOLK .
    Verkäuferin, 1913
    Hitler sollte kommen, und wir vom Ruderverein waren alle angetreten, und der Gute kam nicht. Nach Bremen wollte der nie kommen, der hat scheinbar Angst gehabt oder was, irgendwie stimmte was nicht.
    Beamter, 1912
    Einweihung VW -Werk 1938, ich war ja Unterbannführer, was glauben Sie denn. Da hat er mir imponiert, weil der Bursche die soziale Masche drehte. » Dieser Wagen kostet 900 Mark, und jeder wird ihn fahren können…« Ich hab mir ausgerechnet, als junger Lehrer– in unserm Dorf gab es damals drei Autos!–, da kannst dir dann und dann das Dings kaufen. Diese soziale Masche.
    Da standen die ersten Wagen, und Hitler drehte die erste Runde im Stadion. Die Staatsführung denkt dran, dem einfachen Bürger zu einem Auto zu verhelfen, gleichzeitig die Autobahnen zu bauen und die Arbeitslosen zu beseitigen. Beweisführung, Anschauungsmittel und Darlegung waren so faszinierend, daß man sich der Sache nicht entziehen konnte.
    Ein Mann, 1902
    Zu diesen… Reden, wenn er irgendwo Reden hielt, dann mußten wir gehen, und wenn wir nicht gehen, dann wurden wir ja dauernd bespitzelt, dann flogen wir aus dem Werk raus, nicht wahr. Und dann sind wir dagewesen, da hatte ich dann eine besondere Taktik– ich konnte dies Biest nicht leiden, ich hatte den schon längst durchschaut, nicht wahr–, und dann bin ich die Versammlung reingegangen von einer Tür, und dann durch den ganzen Saal, wo die ganzen Leute

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