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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nichts erzählt. Das war eine Realität, die nicht bekakelbar war.
    Hotelier, 1904
    Nö. Ich habe nur im Warthegau ein Judenlager gesehen. Das war abgegittert, und die armen Menschen flehten da und wollten was zu essen haben. Weiter habe ich nichts gesehen.
    Und dann auf der Moorweide. Ich sag’ zu meiner Frau: » Du, die ganzen Juden kommen weg.« Meine Frau sagt: » Das kann doch nicht sein?«– Die ganze Moorweide war voll, prima angezogen, Leute aus der Ehestraße, alle mit’m Judenstern, jeder mit einer Tasche. Die wurden dann abtransportiert.
    Ein Mann, 1899
    Ich war während des Krieges in Hamburg an der Marinefachschule. Und als ich eines Morgens die Alster entlang zum Dienst ging, da sah ich ein offenes Auto, in dem Juden saßen. Das hat mich tief erschüttert. Da war einer dabei, den erkannte ich, ein feiner Herr, der in der Bergstraße ein Geschäft hatte, ein vornehmer, gar nicht jüdisch aussehender Herr.– Es war ein richtiger Lastwagen, wie man Vieh verlädt, so waren da Männer und Frauen zusammengepfercht. Das Lastauto verschwand in Richtung Lombardsbrücke.
    Hausfrau, 1927
    Ich habe gesehen, wie eine alte Frau abgeholt wurde, eine alte jüdische Arztwitwe, das hab’ ich irgendwie mitgekriegt. Mit einem Lastwagen. Die wohnte gegenüber. Ein Lastwagen fuhr vor, und sie wurde darauf gebracht, allerdings nicht unter Druck, aber hinterher ist darüber geredet worden, man stellte sich ein Gefängnis vor oder ein Lager. Jedenfalls nichts Schlimmes.
    Redakteur, 1933
    Unsere Reinemachefrau hat mal bitterlich geweint, weil ihre alte Herrschaft abgeholt wurde. Er war Kommerzienrat und Jude, und mit fünf Mark und einer Tasche voll Sachen mußten die sich melden.
    Unternehmer, 1931
    Ich erinnere mich noch, wie die Lemgoer Juden deportiert wurden, die zogen durch die Stadt, mit gelbem Stern. Da waren Nachbarjungen dabei. Mein Vater sagte: » Die müssen arbeiten.«
    Man dachte, die sind nicht für uns, die sollen also arbeiten.
    Drogist
    Von meinen Eltern hab’ ich damals was gehört, die waren Hausmeister in einem jüdischen Altersheim. Da hab’ ich einiges gehört, aber: » Ja, das stimmt, sie werden weggebracht. Sie kommen in die Ostgebiete in Ghettos, da ist das dann vorbei, daß sie Rechtsanwälte sind, sondern da müssen sie sich selbst verwalten und arbeiten.«
    Ich hab’ das nicht wahrhaben wollen.
    Schriftsteller, 1922
    Im Nachbarort wohnten zweihundert Juden, und die sind alle verschwunden. Mein Vater hat da Vieh gekauft. Man hat nie böse über diese Leute gesprochen. Ich bin als Kind mal mitgefahren, und da hab’ ich ’ne Matze gekriegt.
    Fabrikant
    Vor dem Rußlandfeldzug, ich war auf einem Wehrmachtstransport in Richtung Osten. Einmal fuhr der Zug langsamer, und da waren Leute, die da arbeiteten. Ich dachte: Zuchthäusler. Erst später sind wir auf den Gedanken gekommen, daß das keine normalen Häftlinge sind. Die riefen uns nämlich zu: » Ihr werd’ schon sehen, wohin ihr kommt!«
    Neben den Häftlingen und dahinter, überall standen Bewacher, die sahen wie Soldaten aus.
    Landwirt, 1913
    Winter 1941 kam ein Unteroffizier aus der Nachbarbatterie, der war vom Urlaub zurückgekommen und konnte nicht zur Einheit kommen, nachts, weil die Entfernung so groß war. Und da haben sie noch Mädchen aufgesucht, und das ist denunziert worden. Weil er mit einem jüdischen Mädchen verkehrt hatte, wurde er zum Strafbataillon versetzt und kam später nach Küstrin in die Festungsanstalt und wurde degradiert.
    Ein Mann
    Nein. 1941 bin ich in Rußland verwundet worden, auf einem Lkw wurden wir zurückgebracht. Da sahen wir auf einmal, neben der Straße, so ausgeschwärmt, und da hörte ich so einen Singsang und sah in der Ferne einen schwarzen Haufen von Menschen, Militär drum herum, Feldjäger. Ein merkwürdiger Singsang, ein unartikuliertes Klagen. Mir wurde speiübel, als ich das sah, aber erst viel, viel später hab’ ich realisiert, was da passierte. Die wurden da natürlich alle erschossen.– Die Feldjäger waren alle sehr nervös.
    Bauer, 1910
    Als wir den ersten Vormarsch gegen Kiew gemacht haben, da hab’ ich was gesehen, Kinder auf einem Wagen.– Und dann haben sie sie erst durch das Wasser gejagt, und dann mußten sie noch was singen, und dann wurden sie erschossen.
    Ein Junge weinte: » Ich bin erst sechzehn…« Ein alter Mann mit langem Bart, der betete noch.
    Die Norddeutschen und bis zum Rheinland runter, die haben sich nicht zu so was gemeldet, aber die Bayern waren wie wild

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