Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
Erinnerung daran allmählich.
Schriftsteller, 1910
Ich hab’ es ganz genau gewußt. Ich war beim Zollgrenzschutz in Polen. August 1942 war das, und ich hatte in Zakopane die Lederkammer, da haben wir mit zwei hübschen Jüdinnen poussiert, das war harmlos. Von einem Schuster namens Blau ließ ich mir Schuhe machen, ein erstklassiger Mann.– Und dann ging das Erschießen los. Das durfte man nicht wissen. Und da kamen welche von der Streife zurück, die sagten: » Du, die haben welche erschossen. Die beiden hübschen Mädchen sind dabei.«
Ich sagte zu dem Blau: » Gehn Sie weg!« Er hätte über die Grenze in die Tschechoslowakei gekonnt.
» Nee, ich brauch’ das nicht, die Gestapo läßt bei mir arbeiten. Ich bin hier ja unentbehrlich.«
Zwei Tage später war er weg und kam nie wieder.
In Krakau hab’ ich dann die Züge gesehen, da wurde schon gemunkelt: Gasöfen. Ich sag: » Kinder…«
Die schrien da in dem Zug nach Wasser. Und eine Frau, die neben mir stand, sagte: » Das haben sie verdient.« Die Tochter hatte gesagt: » Das ist ja furchtbar!« Und da sagte die Mutter: » Das haben sie verdient.«
Kurz darauf kam ich nach Berlin, und die haben mir das nicht geglaubt! » Hans, du fängst jetzt an zu spinnen!« Das waren alles Antifaschisten. Das mit den Gaskammern konnten sie nicht begreifen. Das hatte es noch nie gegeben. Deshalb glaubten sie das nicht. Man hatte immer im Rechtsstaat gelebt, und historisch gab es keine Parallele. Ohne Urteil Leute zu erschießen… Ich meine, auch bei Napoleon hat’s das nicht gegeben und nicht bei Preußens. Gut, da kam’s auch vor, daß Leute erschossen wurden, aber doch immer mit Urteil, und wenn es noch so fadenscheinig war.– Sie haben mir nicht geglaubt, obwohl sie Hitler haßten.
Ich weiß noch, wie das rauskam. Das war beim Mittagessen. Da hat einer was gesagt darüber, daß das ’ne Schweinerei ist. Und da hat der Zollrat gesagt: » Aber meine Herren, wir sind doch beim Essen!«
Es wär’ nicht gegangen, daß er darauf eingegangen wär’. Es waren ein oder zwei Nazis unter uns.
Pensionswirtin, 1910
In Beuthen, ja natürlich. Die ganzen Juden aus dem Westen, aus Holland und so weiter hat man da gesammelt. In der Synagoge haben sie ihre ganzen Sachen abgeladen. Nach zwei Tagen wurden sie abgeholt, aber die Sachen blieben da. In Waggons wurden sie reingestoppt, mit so kleinen Fenstern. Und das war eine Hitze! » Wasser! Wasser!« riefen sie.
Das hat mir leid getan.
Ich hab’ da ein Lokal gehabt.
Auch als sie gesammelt wurden, das hab’ ich auch gesehen. Und sie mußten vor der Synagoge knien und zugucken, wie die gebrannt hat. Ich hab’ gestaunt. Daß so was überhaupt geht!
Und vor dem Abtransport, hier die Männer, hier die Frauen, und die Kinder extra. Was meinen Sie, wie schrecklich das alles war!
Wenn ich das meiner Schwester erzählte, dann sagte die: » Das wissen wir gar nicht.«
Frauen, die in andern Umständen waren, die haben auf dem Platz entbunden. Wir haben von ferne geguckt, trauten uns da nicht ran. Das Schlimmste, fand ich, war, daß sie die Kinder von den Eltern weggerissen haben. Die haben geschrien!
Wenn ich Ihnen das alles erzählen wollte, ich könnte ’n ganzes Buch vollschreiben.
Da waren Baracken, und da haben sie gewohnt. Und unser Mädchen kam morgens und sagte: » Frau X! Jetzt haben sie wieder einen ganzen Karren voll Leichen auf den Judenfriedhof gefahren!« Oder: » Frau X! Heute hab’ ich gesehen, wie sie einen in die Jauchegrube gestoßen haben und hinterher mit’m kalten Wasserstrahl abgespritzt.« Und was die Polen alles gemacht haben!
Hausfrau, 1923
Ja. In Langenberg in der Tschechei, da wurden Frauen durchgeführt, die umgebracht werden sollten. Die eine von ihnen, es waren Jüdinnen, die hatte einen Pelz an, die ging ganz forsch vorneweg, die andern waren müde, eine brabbelnde Gruppe war das, und um sie herum Kapos mit zwei Meter langen Stöcken. Und wenn sich eine bückte, kriegte sie welche über.
Im Winter bei Frost war das.
Hausfrau, 1926
Nie was gehört. Einmal im Vorbeifahren hab’ ich was gesehen. Ich war mit der HJ in Polen, mit einer Musikgruppe, wir musizierten dort für die Neuangesiedelten. Und da sind wir an einer Gruppe von Menschen vorübergefahren, die merkwürdig aussahen. Eingefallene Gesichter, zerlumpte Kleider. Sie standen und warteten auf dem Bahnsteig. Da hatten wir ein Grauen, als wir die sahen. Das sind so Leute, dachten wir… Es gab etwas ganz Schreckliches, das ahnte
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