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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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eingerichtetes Privathaus gegangen. » Wem gehört denn dieses Haus?« hab’ ich gefragt. » Dies ist ein jüdisches Haus.« Kostbares Geschirr, gute silberne Bestecke. Diese Beschämung: Man ist in ein Haus eingebrochen, das einem nicht gehört.
    Kaufmann, 1916
    In Kiew sind wir mit unsern Panzern an einem mit Draht abgesperrten Gelände vorbeigefahren. Da waren ’ne Menge Menschen drin, die hatten sich kleine Feuerchen am Erdboden angezündet, und die wärmten sich da. Wir waren der Meinung, es wären Gefangene, aber das waren Juden.
    Die kämen nach Deutschland zum Arbeiten, hieß es.
    Hausfrau
    Ich hab’ die Elendszüge russischer Kriegsgefangener gesehen, die auf Holzschuhen durch die Stadt lahmten, und hab’ gesehen, wie die Wachtsoldaten denen in’n Arsch traten. Das war fürchterlich. Ich hab’ gedacht: » Was gibt es bloß für Menschen.«
    Ofensetzer, 1915
    Dann kam die Kunde von Massenmorden. Ich hatte im Lazarett einen Freund getroffen, und der erzählte mir freudestrahlend, daß man überzählige Russen, die man nicht ernähren könne, weil man so viel gefangen hat, in ein Auto tut, mit Auspuff nach innen. Die führen dann eine Strecke weit, und dann wären die erledigt.
    Das war 1942. Da hat’s mich gefroren.
    Aber es hat immer noch eine Zeit gedauert, daß ich Antifaschist wurde. Ich hatte das Glück, daß ich Leuten begegnete, die mir sagten, daß es auch noch was anderes gibt als die Nazis.
    Wie hat’s geheißen? » Die Hitlerischen«, » Der ist bei den Hitlerischen«.
    Hausfrau, 1923
    Mein Bruder war im Rußlandfeldzug beim Flugzeug-Bodenpersonal, also zum Reparieren. Als er krank wurde – er bekam Gelbsucht –, wurde er nach Deutschland ausgeflogen, und da erzählte er uns, daß die Nazis die Juden vergasen würden. Wir wollten das aber nicht glauben, weil unser Bruder ein großer Nazigegner war und die Militärausbilder nicht mochte.
    Beamter, 1920
    Im Winter 1941/42 habe ich in Brest-Litowsk deutsche Jüdinnen gesehen, wie sie im Pelzmantel Eisenbahnarbeiten machten, am Gleise.
    Ein Mann
    In Saporoschje. Da standen sie mit Ferngläsern.
    Ich fragte: » Was ist denn hier los?« Man hörte Schüsse. Und da wurde gesagt: » Da ist ’n Steinbruch, und da kriegen Leute ’n Genickschuß.«
    Ich hab’ auch durchgeguckt, aber nur so ’n paar Gestalten da gesehn.
    Molkereimeister, 1923
    Wir mußten Pferde bewegen in Rußland, und da bin ich mit unserm Leutnant querfeldein geritten, und da sahen wir mit’m mal hinter einem Hügel, daß da Leute umgebracht wurden, ziemlich weit entfernt. Also die Exekution.
    Ich hab’ das gar nicht kapiert so schnell, und dann hat der Leutnant sein Pferd rumgerissen und hat gesagt: » Bloß weg hier, sonst bringen sie uns auch um. Das hast du nicht gesehen.«– Und dann habe ich das später doch noch mal erzählt, und da hat mir das niemand geglaubt.
    Kritiker, 1923
    In der » Protzen«-Stellung war ich manchmal in einem Bunker, ein Holzding, acht Leute waren da drin. Da gab es einen – 1942 muß das gewesen sein–, der kam aus dem Baltikum. Dieser Mann erzählte, er hätte Sachen gesehen, die so entsetzlich seien… Da hätten sie Leute in Gruben gestellt und erschossen. Das sei so entsetzlich gewesen… Da weiß ich genau, daß wir dachten: Dieser Mann ist ein perverses Schwein, der ersinnt Geschichten, wobei ich allerdings ein ungutes Gefühl hatte. Aber die Verdrängungstendenz war so stark: Ich wollte damals nichts wissen.
    Der Mann trug übrigens alle Zeichen der Verstörung, der wirkte psychopathisch. Das muß man dazusagen.
    Ein Mann, 1922
    Mit einem Truppentransport bin ich im Juni/Juli 42 in Warschau gewesen. Wir haben in einer Schule gelegen und konnten ins Ghetto gucken. Ein Viertel war gerade geräumt worden, und wir sahen, wie lettische SS -Männer die Häuser nach Leuten absuchten, die sich dort noch versteckt hielten. Und da sahen wir, wie einer ein altes Mütterchen aus einem Haus herausholte, auf die Straße, und der erschoß es vor unsern Augen! Beim ersten Schuß war sie noch nicht tot, und beim zweiten auch noch nicht, und wir wurden rebellisch und haben gerufen: » Ihr Schweine, wenn ihr schon schießen wollt, dann geht an die Front!«– In null Komma nichts war Feldgendarmerie da und räumte das Stockwerk.
    Ich weiß noch, das gab eine Riesenempörung unter den Landsern, daß die nach dem zweiten Schuß immer noch schrie. Aber wir haben uns damit getröstet, daß das ja Letten gewesen sind. Und an der Front verblaßte die

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