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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ich Bescheid. Sie bekamen eine kleine Zeit, sie sollten ihre Grundstücke verschenken oder was, das Geld abliefern. Das waren so Verordnungen für die Juden. Die wurden, möchte ich sagen, so gut und gerne ein bißchen ausgeplündert. Wir haben uns aber nicht dafür interessiert, und mein Vater sagte, daß die machen, was sie wollen: » Steck deine Nase da nicht hinein, das hat keinen Wert, wir sind keine Politiker, wir machen unsere Pflicht, wir haben auch genug zu tun.«– » Hast auch vollkommen recht, ich denke nicht daran.«
    Mein Vater, der hatte schon mehr gehört von den KZ -Lagern und was da passiert ist. Aber das sickerte so durch, stillschweigend. Dann bekamen wir davon auch allmählich Gehör, und da wurden die Bauern, die noch glaubten an Adolf, da wurden die hellhörig, und da schrien die: » Gebt uns bloß unsern Wilhelm wieder!«
    Ein Mann, 1909
    Bei den Kammerspielen in der Nähe, da war ’ne Schule, da wurden die Transporte zusammengestellt. Dort wurden auch die Judensterne verteilt.
    Das waren die strenggläubigen Juden. Und die mußten sie sich selbst annähen.
    Lehrer, 1928
    Ich weiß, daß mir das sehr peinlich war, wenn da einer mit’m Judenstern ging. Man wollte nichts davon wissen und sehen. Ich fuhr da mit’m Fahrrad und sah da einen gehn. Man hatte keine feste Wertskala, wußte nicht, was man damit anfangen sollte. Ich wußte nichts Genaues. Juden, das ist nichts, die werden diffamiert. Aber von zu Hause wurde ich erzogen, daß man Menschen zu achten hat.
    Ich wußte ja nicht, was der dadurch auszustehen hat, daß er so ausgezeichnet war. Kräftiger in die Pedale treten und weggucken. Ich hätte das damals nicht so formulieren können. Ein verschwommenes Menschheitsgefühl.
    Praktischer Arzt, 1922
    Ich meine, daß ich nichts davon gehört hätte.
    Allerdings Juden in Berlin. Winter 1942, mit dem gelben Stern. Die waren in einem bestimmten Stadtteil mehr als in anderen Stadtteilen.
    Das hat man gesehen, aber man hat es doch wohl nicht so gesehen.
    Professor, 1936
    Ich war sechs Jahre alt, 1942, da wurden meine Spielgefährten, das waren jüdische Kinder, eines Tages weggeholt, die ganze Familie, weinend mit sehr wenig Kleidungsstücken. Und wir fragten: » Wo fahren die hin?« Und da sagten meine Eltern: » Die fahren in ihr gelobtes Land.«– » Warum weinen die denn?«– » Weil sie uns nie wiedersehen werden.«– » Warum nicht?«– » Die fahren sehr weit weg.«
    Meine Eltern müssen es also gewußt haben, obwohl mein Vater ein alter Nazi war, sprach er das in dieser Weise aus. Etwas später wurde uns die Rille am Fahrtenmesser erklärt: Da soll das Judenblut runterlaufen. Nicht wahr? So war das.
    Kaufmann, 1931
    Natürlich, da hat man schon was mitgekriegt. Kindergespräch: Wir wußten, daß da Ansammlungen von Häftlingen waren und daß die Furchtbares durchmachen müssen. Und da haben wir uns gedacht, die müssen die neuen, harten Kommißstiefel einlaufen, damit die deutschen Soldaten schöne weiche Stiefel hätten. Das haben wir uns so ausgedacht.
    Lehrer, 1921
    Kann ich nicht sagen. Nichts. 1942 war ich am Funkmeßgerät bei der Flak. Da wurde gesagt, in Kiel-Hassee sei ein KZ . Aber ich habe es nie gesehen. Und das wurde auch nicht wertend gesagt, weder empört noch mitleidsvoll.
    » Arbeitslager« wurde gesagt.
    Regisseur, 1927
    Ich wohnte in der Kaiser-Wilhelm-Straße, und in der Rosenstraße war das jüdische Gemeindehaus, und da wurden die Juden hinbestellt und abgefahren mit Lastwagen. » Die kommen in ein Arbeitslager«, hieß es.
    Am Rosenthalerplatz war ein ehemaliges Kaufhaus, das war dann plötzlich voll jüdischer Möbel, die wurden für wenig Geld an Leute verkauft, die einen Bezugsschein hatten. Als Junge hab’ ich gedacht: Wieso? Wo kommen die Möbel her? Wo sind die Leute? Aber weiter hat man auch nicht über die Sache nachgedacht.
    Am Rosenthalerplatz war das.
    Apotheker, 1929
    Im Hafen lag ein Motorsegler mit gebrauchten Möbeln und, wenn ich mich nicht irre, auch mit Radios. Wir Jungen standen am Kai und sahen uns das an. Irgendwie war von Holland die Rede.
    Später, als wir beim Russen unsere Radioapparate abgeben mußten, hab’ ich dran denken müssen.

6
    Hausfrau
    Ich wußte es! Ich habe in Berlin studiert, und wenn man die Augen aufmachte, dann merkte man das. Ich hab’ auch versucht, das den Leuten im Keller beizubringen, ohne daß sie was merkten.
    Beamter
    Richtig nicht. Aber ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich als Kind mit angehört

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