Habgier: Roman (German Edition)
trägt ihre Uniform.«
»Vielen Dank. Hat sie auch einen Namen?«
»Hat sie, aber es ist ihre Sache, ob sie ihn Ihnen verrät.«
»Noch mal vielen Dank.«
»Gern geschehen.« Als Marge sich zum Gehen wandte, fügte er an: »Es passierte übrigens zweimal.«
Sie blickte ihn wieder direkt an. »Wie bitte?«
Er signalisierte ihr mit dem Finger, näher heranzurücken, und flüsterte ihr dann zu: »West Air hat einen Monat lang die gesamten Löhne einbehalten – für alle Angestellten. Wir mussten das akzeptieren, oder West Air hätte Insolvenz angemeldet. Und trotzdem sollen noch Stellen abgebaut werden.«
»Wow, das ist ein ziemlich mieses, abgekartetes Spiel.«
»Was soll ich machen? Ich brauche diesen Job.«
»Na wenigstens galten die Lohnkürzungen für alle«, sagte Marge.
»Tja, das behaupten sie«, antwortete Baine, »aber wie man hört, sitzt der Vorstand immer noch auf seiner Yacht.«
Eine schlanke rothaarige Frau reichte Marge die Hand: »Ich bin Erika Lessing.«
»Marge Dunn, freut mich.«
Sie setzten sich an einen Tisch in der Ecke einander gegenüber. Der Coffeeshop war eins dieser Cafés im Retrostil, die nach den Fünfzigerjahren aussehen sollten. Die Tische und Stühle waren aus Metall und die Lehnen und Sitzflächen aus ochsenblutrotem Kunstleder. Die Kellnerinnen trugen weiße Uniformen, die von gerüschten Schürzen beschützt wurden, und dazu weiße Hütchen auf dem Kopf.
Erika war in ihrer West-Air-Uniform leicht zu finden gewesen: Eine weiße Bluse, ein schwarzer Rock und ein gelbes Jackett ließen sie wie eine Hummel aussehen. Sie konnte kaum älter als Ende zwanzig sein. Ihre roten Locken wirkten unbändig, aber ihre dunklen, braunen Augen verbreiteten Müdigkeit. »Sie sind Sachverständige bei Schadensansprüchen?« Sie sah Marge direkt ins Gesicht. »Mein Vater hat dasselbe gemacht. Ich habe in den Sommerferien oft für ihn gearbeitet und dabei das Geschäft ganz gut kennengelernt. Kann man viel Geld mit verdienen. Wollen Sie wissen, warum ich nicht dabeigeblieben bin?«
»Na klar.«
»Ich hatte die Nase voll von all den Lügnern. Diesen Idioten, die jeden Schadensfall aufgeplustert haben bis zum Gehtnichtmehr und die Versicherung auspressen wollten, weil die Dummköpfe glaubten, es ist egal – die Company zahlt doch, warum also nicht? Und die Versicherungen schlagen zurück, indem sie die Raten ins Unermessliche anheben oder, was noch viel schlimmer ist, echte Schadensansprüche abwürgen oder endlos hinhalten. Mittlerweile fährt so manch armes Schwein schon monatelang mit dem Bus zur Arbeit, weil die gegnerische Autoversicherung nicht zahlt, und dann kommt der Scheck Jahre später. Schadensfälle bringen die schlechtesten Seiten der Menschen ans Licht.«
»Sagen Sie mir, was Sie wirklich fühlen«, erwiderte Marge, »Sie müssen sich nicht zurückhalten.«
Erika lächelte angespannt und verärgert. »Eliot meinte, Sie würden die Leute suchen, die am Gate von Flug 1324 eingeteilt waren.«
»Eliot ist Mr. Baine am Check-in-Schalter?«
»Ja, genau. Er hat mich angerufen, weil er wusste, dass ich hier sitze und mich vor der Arbeit beim Zeitunglesen zu entspannen versuche.«
»Tut mir leid, wenn ich Sie dabei störe, aber Sie werden sicher verstehen, dass es wichtig ist.«
»Ich war am Gate«, gab sie zu. »Normalerweise würde ich nicht mit Ihnen reden, aber wenn nach all der Zeit immer noch jemand in Roseanne Dresdens Umfeld herumschnüffelt, sollte ich wohl mal mein Gewissen erleichtern.« Sie seufzte voller Bedauern. »Ich würde den ganzen Müll gerne loswerden, und Sie hat’s erwischt.«
»Ich höre Ihnen gern zu.«
»Sie können sich nicht vorstellen, wie belastend die letzten vier Monate waren.« Sie deutete mit dem Finger auf sich selbst. » Ich habe sie alle eingecheckt. Und jetzt fühle ich mich, als hätte ich sie persönlich in den Tod verfrachtet. Ich weiß, es ist nicht so, aber...« Sie schüttelte den Kopf. »Um ehrlich zu sein, stehe ich noch unter Schock. Ich bin deprimiert, und wütend und lustlos. Und ich fühle mich so verdammt schuldig!«
»In Ihrer Firma weht ein rauer Wind, und Sie scheinen kein bisschen Unterstützung zu bekommen.«
»Gar nichts. Wir sollen am besten gar nicht davon reden. Die haben Angst, dass wir etwas sagen könnten, was noch mehr Klagen auf den Tisch bringt. Das ist das Einzige, worüber die sich Sorgen machen. Aber ich hab das nie zu Ihnen gesagt.«
»Natürlich nicht.«
Erikas Augen wurden feucht. »Hier haben
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