Habiru
erinnere mich.« Ihre Stimme war immer noch belegt und krächzend. »Kannst du mir bitte ein Glas Wasser besorgen? Mein Mund ist so trocken.«
»Sofort, Schatz! Du wurdest über den Tropf hier ernährt, du konntest ja auf normale Art nichts zu dir nehmen, deswegen hast du bestimmt einen trockenen Mund.«
Sie ging ins Bad. Fast einen Monat hatte sie im Koma gelegen. Es musste demnach schon Mitte April sein.
Fast hatte sie es geahnt, nachdem sie nicht mehr ihre normalen Sprünge machte, und ihre Erinnerung an die Schwärze so anders war als die Male vorher, in denen sie in ihrem Bett einschlief.
Was wohl so alles passiert war? Sie fehlte diese Zeit in der Schule, klar, und irgendwie musste sie das nachholen. Das schien ihr aber nicht so wichtig. Was war im Irak passiert? Sie musste Mama gleich Fragen. Und auch nach Jessica
- die hatte sich bestimmt heftig erschrocken.
Mama kam wieder herein, mit einem Glas kalten Wasser in der Hand.
Sarah trank mit kurzen Schlucken. Es war einfach köstlich, sofort fühlte sie sich besser, der Mund war nicht mehr trocken, und ihre Mattigkeit verschwand allmählich. Ihre Mutter ging aus dem Zimmer, um den diensthabenden Arzt zu
holen. Schon nach einer Minute kam sie mit ihm im Schlepptau zurück. Es war ein dunkelhaariger gutaussehender Mitvierziger.
Der Arzt war sichtlich erfreut über ihr Aufwachen und untersuchte sie kurz. Nachdem er seine Untersuchung abgeschlossen hatte, sagte er, dass alles in Ordnung wäre, und ließ die beiden wieder allein. Sarah fragte: »Was ist mit Jessica?«
»Sie hat alles richtig gemacht, sofort ihre Eltern gerufen und die haben den Notarzt alarmiert. Sie wussten ja überhaupt nicht, was mit dir war. Sie war seitdem beinahe jeden Tag hier und hat mit dir geredet. So wie ich auch.«
Sarah war dankbar. Jessica war doch eine richtige Freundin. Sie hatte sich ihr gegenüber unfair verhalten. Ihr ging auf, wie viel Sorgen sich alle wegen ihr gemacht hatten.
»Danke. Es hat mir bestimmt geholfen.«
Ihre Mutter lächelte. Ihr kam anscheinend eine Frage in den Sinn:
»Hast du Erinnerungen an die Zeit im Koma?«
Sarah war nicht sicher, ob ihre Mutter auf die vorher geschilderten Träume hinauswollte.
Sie sagte: »Ja, habe ich, ich kann nur noch nicht drüber sprechen. Es wäre schön, wenn du mir Stift und Papier besorgen könntest, ich will versuchen es aufzuschreiben.«
Sie erinnerte sich an ihr Versprechen, dass sie Schena gegeben hatte. Für diese Welt gab es noch Hoffnung, die Ausbreitung der Gewaltwellen zu stoppen, und der Menschheit endlich den Weg zur Liebe zu zeigen.
»Na klar, das mache ich, heute noch.«
»Danke.«
»Jetzt, nachdem du wach bist, muss ich erst einmal überall Bescheid sagen. Es machen sich eine Menge Leute Sorgen wegen dir. Ich bin so froh. Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Ich bin gleich wieder da.«
Sarah schluckte. »Mama, bevor du gehst. Kannst du mir noch sagen, was im Irak passiert ist?«
Sie war zwar etwas verwundert, antworte ihr aber noch. »George Bush hat gerade den Krieg für beendet erklärt. Saddam hat man nicht gefunden. Seine Truppen haben kaum gekämpft. Bezeichnerweise hat man nach der Einnahme Bagdads von allen Ministerien nur das Ölministerium mit Soldaten schützen lassen. Das historische Museum, in dem viele alte Artefakte aus der Kulturgeschichte des Iraks aufbewahrt wurden, war ungeschützt und wurde geplündert.«
Sarah war nicht sicher, was das zu bedeuten hatte. Es schien doch eher um Öl als um Saddam zu gehen. Und im historischen Museum waren bestimmt auch noch die letzten Überreste von Schenas Welt zerstört worden.
»Dann ist der Krieg vorbei, und es ist wieder Frieden?«
»Das ist noch nicht sicher. Kommt wahrscheinlich darauf an, wie die US- Soldaten sich dort verhalten. Wenn sie als Besatzer empfunden werden, wird es bestimmt Widerstand geben. Sie dachten ja schon, sie würden von den Schiiten jubelnd und mit Freude empfangen, doch schon das war ein Irrtum.«
»Hmm.« Sarah hatte wirklich viel verpasst.
»Ich werde dann mal telefonieren gehen.«
»Ja, mache das. Und richten allen liebe Grüße aus.«
»Klar.«
»Und Mama?«
Sie war bereits an der Tür. »Ja?«
»Ich habe dich lieb.«
»Ich liebe dich auch, mein Schatz!« Sie war sichtlich gerührt, und wieder den Tränen nahe. Und Sarah ging es genauso. Dann ging sie doch zur Tür raus, und Sarah war wieder allein.
Sie sagte leise: »Schena, ich werde dich nicht vergessen.«
Obwohl sie die Habiru hassen wollte,
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