Habiru
würde man auch dort mit der Suche beginnen. Es gab noch einen weiteren Diskussionspunkt: Welche Gefahr lauerte da draußen im Wald? Da es keiner wusste, beschlossen sie beim Essen, auch die anderen Sippen zu informieren. Inanna schickte Nubuk und Yesaf los, den anderen Sippen Bescheid zu geben. Kurz darauf kamen schon die ersten an. Nach einer viertel Stunde war ein beachtlicher Trupp zusammen gekommen. Inanna erklärte die Lage, und die anderen wollten sich sofort an der Suche beteiligen. Inanna riet allen, vorsichtig zu sein, da niemand wusste, ob nicht vielleicht doch eine größere Gefahr im Wald lauerte. Wie etwa die Habiru. Sie hielt das für unwahrscheinlich, immerhin war Eridu einen Tagesmarsch entfernt, und warum sollten die Habiru diesen Weg gehen, so kurz nach dem sie wie die Heuschrecken über Eridu hergefallen waren. Immerhin hatten sie dort doch alles, was sie nach ihren langen Entbehrungen benötigten. Aber möglich war es. Man beschloss, immer nur zu zweit auf die Suche zu gehen, um einer eventuellen Gefahr besser gewappnet begegnen zu können. Dann wurde noch eingeteilt, in welche Richtung jede Gruppe gehen sollte - sie hatten immerhin zwölf Suchtrupps aufgestellt. Alle sollten bis zum Einbruch der Dunkelheit suchen und sich anschließend wieder am Dorfplatz treffen. Sarah sollte mit Nesaja zusammen gehen, sie sollten den Wald rund um den See absuchen. Ausgerechnet Nesaja, die immer so wortkarg war. Und mit der sie außer bei der Essensvorbereitung kaum ein Wort gewechselt hatte. Aber die gemeinsame Sache einte sie. Nur ein kurzer Blickkontakt war nötig, um festzustellen, dass auch Nesaja genauso besorgt um Schena war wie sie selbst. Sie machten sich auf den Weg, zuerst noch mit ein paar anderen Gruppen. Sarah kamen wieder viele, viele Gedanken in den Kopf. Ihre Sorge um Schena wuchs von Sekunde zu Sekunde. Nesaja schwieg sie an, aber das schien Sarah nicht verwunderlich, sie hingen beide ihren eigenen Sorgen nach.
Sie gingen den Weg, den Sarah beim ersten Mal in entgegengesetzter Richtung
mit Schena gegangen war. In Richtung See. Zuletzt waren sie am Tag nach ihrer Rückkehr zusammen diesen Weg gegangen. Das machte Sarah nachdenklich. Auch wenn es der gleiche Weg war, wirkte er doch jetzt gänzlich anders als beim letzten Mal. Wie viel sich doch seitdem verändert hat, dachte sie im Stillen. Es war keine konkrete Änderung. Die Natur war noch genauso atemberaubend schön wie vorher, und auch sonst sah alles genauso aus. Es war eher etwas ungreifbares, unerklärbares. Hier war nur ein Mond vergangen. Und trotzdem hatte sich vieles verändert. Und auf einmal wirkte alles noch viel befremdlicher als vorher. Auch wenn ihr diese Welt schon immer zum Teil fremd war - sie fühlte sich bis zu der Begegnung mit den Habiru nie bedroht oder unsicher.
Fast war es ihr, als ob dieses Land ihre Heimat wäre. Doch nun war diese Welt bedroht, bedroht von den Habiru, die keinen Respekt vor dem Leben kannten und hart durch die Wüste wurden. Und die Gefahr, die von ihnen ausging lag in der Luft, schwer wie Blei, man konnte es förmlich spüren.
Sie veränderte schon die sonst so unbeschwerte Fröhlichkeit, man konnte es überall spüren. Auch wenn jeder sagte, man würde sein Leben nicht durch die Habiru bestimmen lassen, war es doch ein Unterschied zwischen dem was man wollte und wie man fühlte.
Sie waren nun im Wald angekommen, und die ersten Gruppen gingen nach rechts und links vom Weg ab, um sich auf die Suche zu machen. Sarah brach das schweigen und fragte Nesaja: »Was meinst du, ob wir sie finden werden?« Nesaja schien sich jedwede negative Gedanken verboten zu haben. »Sicher werden wir sie finden - sie kann nicht weit weg sein. Vielleicht ist sie über einen Ast oder umgestürzten Baum gestolpert und ist bewusstlos oder hat sich ihr Bein gebrochen ...«
Nesaja klang sehr überzeugt, dass es auf keinen Fall etwas schlimmeres sein könnte. Das beruhigte Sarah etwas.
Sie riefen lauthals nach Schena. Es kam aber keine Antwort. Sie waren mittlerweile beim See angekommen, und überlegten, wo sie mit der Suche anfangen sollten. Sarah sagte wie in Trance: »Lass uns erst nach rechts gehen, bis zum Ende des Sees, wo der Wald an die Kante eines Fels grenzte.« Von dort aus wollten sie sich in westlicher Richtung vorarbeiten. Nesaja sagte nichts, so wie es aussah, konnte sie sich nicht vorstellen, was Schena ausgerechnet dort wollte, aber von ihr kam kein Widerspruch.
»Ist eigentlich egal, auf welcher
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