Habiru
gebaut wurden?«
Nun spürte auch Schena die Niedergeschlagenheit in Sarahs Stimme und versuchte sie zu trösten. »Hey, es ist ja nicht deine Schuld, und wir sollten geduldig sein und warten, manche Dinge offenbaren ihren Sinn erst später.« »Hoffentlich, bevor ich als Sündenbock ausgemacht werde.«
»Wie meinst du das? Was ist ein Sündenbock?«
»Nun, wenn Menschen Leid wiederfährt, Schicksalsschläge zum Beispiel, neigen sie dazu, anderen die Schuld zu geben für ihre Situation.«
»Auch wenn sie gar keine Schuld an der Situation haben?«
Sarah nickte.
»Das ist doch Unsinn.«
»Das mag sein, aber unsere Geschichte ist voller solcher Vorkommnisse, und es gibt einige Dinge, wie Armut und Hunger zum Beispiel, oder, Massenarbeitslosigkeit, die immer wieder dazu führen, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben und ihnen Gewalt anzutun.«
»Das ist verrückt.«
»Ja, und nein. Es gibt ja bei uns tatsächlich viel Leid, welches erst durch Menschen verursacht worden ist. Denk nur an den 2. Weltkrieg und Hitler, weißt noch, was ich wegen der Swastika sagte? Es sind fast immer Menschen, die hinter dem Leid der Menschen stehen. Aber meistens verstecken sie sich hinter irgendwelchen Systemen. Und ironischerweise werden meistens nicht die Systeme oder die Menschen, die sie missbrauchen, als Schuldige ausgemacht, sondern Schwächere, an denen man gefahrlos seine aufgestaute Wut und Angst auslassen kann. Hitler, von dem ich erzählte, hat das gewusst und dafür gesorgt, das der Zorn und Hass gebündelt wurde. Er hat den Volkszorn auf einen einzelnen, ähm, Stamm gelenkt.«
»Ich kann mir mittlerweile vorstellen, was das bedeutet. Deine Welt ist ein gewaltsamer, nicht lebenswerter Platz.«
Sarah schwieg, sie wusste nicht, was sie hätte erwidern können.
Sie waren am Fluss angekommen. Er plätscherte sanft und friedlich vor sich hin, sein Wasser war klar und kalt wie eh und je.
Sie tauchten die Krüge in den Fluss, um sie mit dem frischen Quellwasser zu füllen.
Die Mädchen schwiegen dabei, Sarah ging ihren Gedanken nach, es war das erste Mal, dass sie die Schönheit dieser Stelle nicht aufnahm. Sie machten sich wieder auf den Rückweg.
Sie brachten die Wasserkrüge zu Inannas Hütte. Sie bedankte sich und bot Almut und seinen Leuten gleich welches an. Sie füllten sich ihre Krüge und tranken. Inanna bat Almut und die anderen, wenigstens bis zum Ende der Versammlung zu bleiben. Sie stimmten zu, wollten aber sofort nach der Versammlung weiterziehen. Die Versammlung sollte am nächsten Tag eine Doppelstunde vor dem höchsten Stand der Sonne stattfinden.
Am Abend lag Sarah auf ihrem Strohlager und dachte nach.
Diese armen Menschen waren total überfordert mit dieser ausweglosen Situation. Und trotzdem verloren sie weder ihren Mut noch ihren Lebenswillen. Sarah dachte an den Stumpfsinn und die Apathie, welche sie empfand, wenn man in den Nachrichten immer wieder die Gewalteskalationen ihrer Welt mitbekam. Ihr fielen ein paar Mitschüler ein, die immer wieder die gleichen Jungen terrorisierten. Wieso half sie nicht? Welche Auswirkung hatte die
Gewöhnung an Gewalt eigentlich? Sarah dachte unwillkürlich ans Sterben. So etwas wie ein langsamer, innerer Tod. Die Menschen hier waren dazu im Gegensatz wirklich lebendig und noch völlig unbelastet in bezug auf Gewalt durch andere Menschen. Ihre Welt war tot, schon lange, und schlagartig wurde ihr Erlebnis mit Jessica und dem Geldschein bewusst, welcher nichts als Schwärze hinterließ, und alle Wellen des Lebendigen absorbierte.
Allerdings erzähle sie Schena nichts davon. Sie schlief schon.
Erst einmal wollte sie versuchen, die Lücken in ihrer Erinnerung zu schließen und ihre Gedanken zu ordnen.
Bald darauf schlief auch sie ein.
2. Gehen oder bleiben?
Sarah war nicht zu Hause in Hamburg aufgewacht und machte sich deswegen Sorgen. Beim letzten Mal war sie einen Tag zu lange hier, und jetzt schon wieder. Dieses Mal war ihr noch unwohler. Erst ihre fehlende Erinnerung, wann sie das letzte Mal zu Hause eingeschlafen war, und nur bruchstückhafte Erinnerungen daran, was zuletzt passiert war. Es waren immer nur Gedankenfetzen. Pyramiden. Dollar. Jessica. Schwärze. Und dann dies.
Es war wieder ein recht schöner Tag, die Sonne schien, es war angenehm warm, und es wehte eine ganz leichte Brise von Süd her.
Schena und Sarah saßen nach dem Frühstück noch eine Weile mit der ganzen Sippe zusammen, arbeiten würde heute auch heute niemand. Sie diskutierten
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