Hackenholt 06 - Reichskleinodien
hinsichtlich der Herrschaftsinsignien der Kaiser und Könige des Heiligen Römischen Reiches ist.« Dr. Holm sah die Ermittler eindringlich an, bevor er fortfuhr. »Meine Damen und Herren, ich möchte dies als Leitbild für die Dauer unserer Ermittlungen verstanden wissen: Die Lage ist sehr ernst, wir können nur zum Ziel gelangen, wenn jeder seine persönlichen Stärken in die Ermittlungen einbringt – und zwar ohne Rücksicht auf die Behördenzugehörigkeit. Für Zuständigkeitsrangeleien haben wir keine Zeit.«
Hackenholts Blick traf Stellfeldts. Sie dachten beide dasselbe: Solche Worte hatte Dr. Holm noch nie gewählt, weder solange er Staatsanwalt noch seit er Oberstaatsanwalt war. Da musste mehr oder genauer: Höheres dahinterstecken.
Wie um die Vermutung zu bestätigen, fuhr der Jurist fort: »Es obliegt mir, unserem Herrn Ministerpräsidenten täglich von unseren Fortschritten zu berichten.«
»Amen«, murmelte jemand hinter dem Hauptkommissar. Der Blick des Abschnitt-K-Leiters glitt böse über die anwesenden Beamten.
Zumindest ist die Ermittlung damit zur absoluten Chefsache mutiert, dachte Hackenholt. Das hatte den Vorteil, dass er nicht an den Pressekonferenzen teilnehmen musste, sondern sich voll und ganz auf seine Arbeit konzentrieren konnte.
»Ich übergebe nun das Wort an Herrn Dr. Drosthoff.« Dr. Holm nahm Platz, dafür erhob sich der Leiter der Sonderausstellung.
»Lassen Sie mich zu Beginn einen kurzen Überblick über den Reichsschatz, die sogenannten Reichskleinodien geben.« Er räusperte sich. »Die Insignien des Heiligen Römischen Reiches sind der einzige fast vollkommen erhaltene Kronschatz des Mittelalters; sie waren mehr als bloße Symbole der kaiserlichen Herrschaft über das Abendland und stellten mithin schon damals einen unvorstellbaren Wert dar. Teile des Krönungsschatzes lassen sich auf das Ende des achten Jahrhunderts datieren.« Dr. Drosthoffs linke Hand glitt zu seiner Krawatte und fuhr mehrfach über ihr unteres Ende. Eine Beruhigungshandlung. Offenbar war er nervöser, als ein Mensch sein sollte, der es gewohnt sein musste, Vorträge zu halten. »Der Reichsschatz setzt sich aus zwei Teilen zusammen: den Nürnberger und den Aachener Kleinodien. Letztere bestehen aus dem Reichsevangeliar, der Stephansbursa und dem Schwert Karls des Großen; einem Krummsäbel, um genau zu sein. Zur Nürnberger Gruppe zählen die Reichskrone, die Krönungsgewänder, der Reichsapfel, die Zepter, das Reichsschwert, das Reichskreuz und die heilige Lanze.«
Irritiert fragte sich Hackenholt, wie man bei einer derart knappen Aufzählung von Gegenständen auf einhundertzwei Exponate für die Ausstellung gekommen war. Ob jeder Handschuh und jeder Strumpf einzeln gezählt wurden?
»Der Reichsapfel«, fuhr der Kurator fort, »geht historisch auf den Globus der Römer zurück. Als Attribut des römischen Gottes Jupiter symbolisiert der Erdball in der Hand des Kaisers die Weltherrschaft. Das Kreuz ist Zeichen für das Bekenntnis zum christlichen Glauben. Der Reichsapfel ist westdeutsch und wird auf Ende des zwölften, Anfang des dreizehnten Jahrhunderts datiert. Er hat eine Höhe von einundzwanzig Zentimetern und ist aus Gold sowie Goldfiligran gefertigt und mit Edelsteinen und Perlen reich besetzt.«
Stellfeldt hob die Hand zu einer Wortmeldung. »Können Sie uns sagen, wie hoch sein tatsächlicher Wert ist?«
»Es ist unmöglich, den Wert eines solchen Schatzes zu beziffern – was nie gehandelt wird, lässt sich nicht in eine Summe umrechnen. Und anders als zum Beispiel bei Gemälden können wir uns nicht an Katalogen und Schätzpreisen ähnlicher Werke orientieren. Der Reichsapfel ist schlichtweg unbezahlbar, insofern als er einzigartig ist.«
»Vielleicht kann ich an dieser Stelle übernehmen?« Winter sah Dr. Holm fragend an, der ihm aufmunternd zunickte.
»Für einen Dieb, oder wie in unserem Fall Räuber, ist es völlig unerheblich, ob der Wert mit einhundert oder fünfhundert Millionen beziffert wird. In diesem Milieu bestimmen allein Angebot und Nachfrage den Preis.
Aber lassen Sie mich zunächst ein paar Worte zu meiner Person sagen: Mein Name ist Theobald Winter, ich komme vom Landeskriminalamt München und leite dort die Fachdienststelle Kunstdiebstahl. Wie der Name schon sagt: Wir machen nichts anderes, als uns um entwendete Kunstwerke zu kümmern. Nachdem ich davon ausgehe, dass keiner der Anwesenden, nicht einmal Sie, verehrter Herr Dr. Drosthoff, viel Erfahrung mit
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