Hackenholt 06 - Reichskleinodien
bitten wir ihn um eine Identifikation. Wenn Thurn sagt, er war es nicht, kann er wieder gehen.«
Wünnenberg nickte und brachte den jungen Mann zu seinen Kollegen, während Hackenholt zum Telefonhörer griff und Christine Mur anrief.
»Wie schaut es bei dir aus? Gibt es brauchbare Indizien?«
»Frank, das kann ich dir morgen sagen, aber noch nicht jetzt. Die Abdrücke, die wir auf der Transportkiste sichergestellt haben, müssen erst mit der Datenbank abgeglichen werden. Große Hoffnungen solltest du dir nicht machen. Meines Erachtens wurde die Kiste abgewischt, sodass die Spuren wahrscheinlich vom Schmied und seiner Frau stammen.«
»Hast du in der Halle etwas entdeckt?«
»So gut wie nichts. Andererseits: Was soll ich hier auch finden? Wir wissen nicht, welche Gerätschaften der Kerl angefasst hat. Ich bin mit dem Schmied alles durchgegangen, was er benutzt haben könnte. Wir haben aber nirgendwo auch nur den kleinsten Anhaltspunkt gefunden, dass Gold verarbeitet wurde.«
Höchst vorsorglich hatte die umsichtige Beamtin jedoch rund um den Arbeitsplatz den Schmutz und Staub aufgesaugt, um ein Staubgutachten erstellen zu lassen. Vielleicht gelang ihnen so der Nachweis, dass feinste Gold- oder Edelsteinsplitter vom Reichsapfel in der Werkstatt vorhanden gewesen waren.
Sobald Edwin Thurn und seine Frau im Präsidium eingetroffen waren, führte Hackenholt sie in ein Büro des Kriminaldauerdiensts. Durch ein Einwegfenster konnten sie unbemerkt Viktor Kern beobachten, der mit Wünnenberg auf den Termin beim Erkennungsdienst wartete.
Auf Hackenholts Frage, ob das der Mann sei, der in ihrer Schmiede vorgesprochen habe, schüttelten die Eheleute den Kopf. Viktor Kern habe außer der Körpergröße rein gar nichts an sich, was mit dem jungen Mann übereinstimmte, der zu ihnen in die Schmiede gekommen war.
Immerhin begann die Schmiedin beim Anblick des Mannes mit einer recht brauchbaren Aufzählung, was bei ihrem vermeintlichen Kunden alles anders gewesen war. Sie bezog sich jedoch ausschließlich auf den Körperbau, denn das Gesicht des Mannes hatte sie überhaupt nicht richtig gesehen. Er hatte eine Baseballkappe getragen und auf den Boden gestarrt, sodass der Mützenschirm die meiste Zeit sein Gesicht verdeckte. Sie fand das nicht weiter ungewöhnlich, denn viele Leute in der Mittelalterszene waren schüchterne, lichtscheue Kreaturen, die sich erst hinter einer dicken Schicht Schminke oder in ihren Kostümen wohlfühlten.
Dem Schmied war es nicht anders ergangen: Obwohl er mehr Zeit mit dem Kunden verbracht hatte, hatte er sein Gesicht nur einmal kurz gesehen. Er glaubte ebenfalls, ihn eher an seiner Gesamterscheinung, vielleicht auch an der Sprechweise als auf einem Porträtfoto wiederzuerkennen.
Erfolglos führte Hackenholt ihnen die Überwachungsvideos aus den Geldinstituten vor. Die Stunde, die der fachkundige Kollege für die Erstellung eines Montagebilds aufwandte, war für die Katz, da sich die Erinnerungen der Eheleute lediglich auf das Kinn und die Mundpartie bezogen und sich daher mit Hilfe des interaktiven Systems zur Erkennung von Straftätern nicht viel bewerkstelligen ließ.
Erst als Frau Thurn selbst zu Papier und Bleistift griff und zu zeichnen begann, nickte ihr Mann mehrmals beifällig. Das fertige Bild zeigte den Schirm einer Baseballkappe und darunter ein bartstoppeliges Kinn in einem weichen, abgerundeten Unterkiefer. Von der Nase lugte nur die vorderste Spitze hervor, die Lippen waren aufgrund der gesenkten Kopfhaltung ebenfalls kaum zu erkennen. Alles in allem also definitiv nichts, was bei einer Identifikation hilfreich gewesen wäre.
Als Hackenholt endlich wieder sein Büro betrat, fiel ihm ein, dass er am Vormittag ursprünglich vorgehabt hatte, Walter Zögner anzurufen, um sich die Aussagen der Zeugen faxen zu lassen, die gesehen hatten, wie die falschen Polizisten Felix Kurz zum Anhalten zwangen. Hackenholt brauchte unbedingt die genauen Personenbeschreibungen. Er blickte zur Uhr. Halb sieben.
Obwohl wenig Hoffnung bestand, den Kollegen um diese Uhrzeit noch in der Arbeit zu erreichen, versuchte er es. Nach dem zwanzigsten Klingelzeichen gab er auf. Dann musste die Sache eben bis zum nächsten Tag warten.
»Stimmt es, dass der Reichsapfel eingeschmolzen wurde und ihr den Täter festgenommen habt?«, begrüßte Sophie ihren Mann aufgeregt, bevor er überhaupt richtig zur Tür hereingekommen war.
»Wer behauptet denn so einen Quatsch?«, fragte Hackenholt irritiert, während er
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