Hades
Öffnen.»
«Unterschätze nicht die Mächte des Himmels», sagte Ivy.
«Ich glaube, der Himmel hat Bethany längst aufgegeben. Ist euch je der Gedanke gekommen, dass unser Daddy stärker sein könnte als eurer?»
Ivy hob herausfordernd das Kinn. In ihren sonst kühlen grauen Augen loderte heißes blaues Feuer. Als sie den Mund öffnete, strömten Worte hinaus, die so hoch und süß klangen wie hundert Kinderstimmen oder ein Windspiel im Sommerwind. Die Luft um sie herum begann zu flirren wie Hitze über dem Fußweg. Dann streckte sie einen Arm in Diegos Richtung aus. Geschockt beobachtete ich, wie ihre Hand in seiner Brust verschwand, als ob sie aus Ton geformt wäre. Diego, der genauso überrascht wirkte wie ich, grunzte laut. In seiner Brust glühte plötzlich etwas auf, und ich begriff, dass Ivy ihm buchstäblich ans Herz griff. Das Licht wurde heller, bis seine Haut so durchscheinend war wie Papier. Ich konnte die einzelnen Rippen sehen und Ivys Hand, die sein Herz in einem lodernden Käfig aus Licht gefangen hielt. Diego wirkte wie gelähmt, schaffte es aber, den Mund zu öffnen und loszuschreien. Sein Herz in Ivys Hand schwoll an und pulsierte, bis es plötzlich Plop machte und platzte wie ein Ballon. Im selben Moment blitzte ein Licht auf, und Diego war verschwunden.
Ivy atmete tief und schaudernd durch und rieb sich die Hände, als ob sie etwas Ansteckendes berührt hatte.
«Dämonen!», murmelte sie.
Das Geräusch der Explosion hatte Molly geweckt. Sie saß sofort aufrecht im Bett und versuchte ihre Locken zu glätten.
«Was … was ist denn hier los?», murmelte sie träge. Wie hatte sie das ganze Drama bloß verschlafen können?
«Nichts», sagte Gabriel schnell. «Schlaf weiter. Wir wollten nur mal kurz nach euch sehen.»
«Oh.» Molly starrte ihn einen Moment lang sehnsüchtig an, bis ihr die Ereignisse des Vorabends wieder einzufallen schienen. Mit finsterem Blick legte sie sich wieder hin und wickelte die Decke um sich.
Gabriel seufzte achselzuckend.
Xavier nahm die Autoschlüssel vom Nachttisch. «Äh … Danke für eure Hilfe», sagte er. «Wenn es okay ist, würde ich gern ein bisschen Auto fahren. Ich muss den Kopf freikriegen.»
Ich folgte ihm. Endlich würde ich Zeit mit ihm alleine verbringen können, auch wenn er nicht wusste, dass ich da war.
«Hi, Baby.» Traurig lächelnd tätschelte er auf dem Parkplatz die Motorhaube seines Chevys. «Ist gerade alles ziemlich verrückt, oder?»
Als Xavier den vertraut schnurrenden Motor startete und auf den Highway auffuhr, glitt ich neben ihn auf den Beifahrersitz. Jetzt am Steuer wirkte er entspannter, geschmeidiger. Wie schön er ohne die ständige Sorge im Gesicht aussah! Ich hätte ihn stundenlang betrachten können – seine starken Arme, seine kräftige Brust, die Haare, die ihm vor die Augen fielen und im Dämmerlicht schimmerten wie Gold. Er schloss seine türkisfarbenen Augen einen Spaltbreit, ließ die Spannung aus sich herausfließen und trat aufs Gas. Der Chevy jaulte gehorsam auf. Wenn ich dabei war, fuhr Xavier nie schnell, dafür war er viel zu besorgt um mich. In diesem Moment aber war er frei, und ich wusste, dass er diese Zeit für sich brauchte, um sich zu sammeln. Hinter einer Kurve ging es links von der mit Zedern gesäumten Straße tief die Klippen hinab. Xavier beschleunigte, kurbelte das Fenster herunter und schaltete das Radio an. Der Sender spielte die größten Hits der Achtziger, und gleich war das Auto von «Livin’ on a prayer» ausgefüllt. Dieses Lied über ein Paar, das verzweifelt versucht, eine schwere Zeit durchzustehen, passte auf uns wie die Faust aufs Auge
We’ve got to hold on, ready or not,
You live for the fight when it’s all that you’ve got.
Xavier sang mit deutlich gestiegener Laune mit und trommelte im Takt auf das Lenkrad. Draußen aber kam ein unnatürlich wirkender Wind auf, der Laub über den Highway und die Klippen hinabtrieb.
Irgendetwas stimmte hier nicht: Das Böse war uns gefolgt.
Ich musste Xavier warnen – er musste umkehren! Ganz allein hier draußen war er nicht sicher. Nur Ivy und Gabriel konnten ihn beschützen. Aber wie sollte ich ihm das klarmachen?
Als das Lied endete, kam mir eine Idee. Ich bündelte meine Energien und versuchte damit, die Radiofrequenz zu stören. Und tatsächlich wurde der Empfang schlechter, bis schließlich nur noch ein leises Summen zu hören war. Xavier drehte genervt am Senderknopf und suchte eine andere Frequenz. Ich nahm all meine Kraft
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