Hades
meine Familie das letzte Mal gesehen hatte oder wie wir getrennt worden waren. Während ich an Venus Cove dachte, verspürte ich die leise Hoffnung in meiner Brust, mich selbst in mein altes Leben zurückwünschen zu können. Aber dieses Gefühl war schnell wieder fort und hinterließ eine Verzweiflung, die sich mir schwer wie Stein aufs Herz legte.
Ich öffnete die Augen und sah mein Spiegelbild. Irgendetwas an mir war anders. Zwar hatte ich noch dieselben Züge, dieselben koboldartigen Ohren und meine porzellanweiße Haut mit einem Hauch von Rosa, zwar blickten mich die gleichen braunen Augen mit goldenen und grünen Einsprengseln an. Doch der Ausdruck, den ich in ihnen entdeckte, war der einer Fremden. Meine Augen, die sonst vor Neugierde nur so gefunkelt hatten, schimmerten leblos. Das Mädchen im Spiegel wirkte verloren.
Obwohl es angenehm warm im Zimmer war, fröstelte ich. Ich ging schnell zum Schrank und zog das erste Kleidungsstück heraus, das mir in die Finger fiel, ein schwarzes, schwingendes Cocktailkleid mit Puffärmeln. Ich seufzte und suchte nach etwas Passenderem. Doch nicht ein einziges brauchbares Kleidungsstück fand sich, sondern stattdessen alles vom bodenlangen Abendkleid bis zum maßgeschneiderten Chanel-Anzug mit Seidenbluse. Ich entschied mich für das schlichteste Outfit, das ich finden konnte (ein knielanges, langärmeliges Kleid in moosgrünem Knautschsamt), und ein Paar Ballerinas. Dann setzte ich mich aufs Bett und wartete, dass etwas passierte.
Auch wenn ich Venus Cove und meine Geschwister lebendig vor Augen hatte, sagte mir mein Gefühl, dass es dort noch jemanden oder etwas gab, das ich vergessen hatte. Der Gedanke nagte an mir, arbeitete unentwegt in den Tiefen meines Gehirns, was ziemlich erschöpfend war. Ich legte mich auf den Rücken und betrachtete die verschnörkelte Decke. Irgendwo in mir verspürte ich einen quälenden Schmerz, konnte aber nicht ausmachen, wo er herkam. Beinahe wünschte ich mir, dass Jake endlich kam, denn ich hoffte, dass sich das Ventil für die verlorenen Erinnerungen öffnete, wenn ich mit ihm sprach. Ich spürte, wie sie in meinem Gedächtnis herumirrten, doch sie entglitten mir, sobald ich sie zu fassen versuchte.
Das Klacken der Schlüsselkarte schreckte mich auf. Ein Mädchen mit rundlichem Gesicht betrat den Raum – der Kleidung nach ein Zimmermädchen: Sie trug ein schlichtes braungraues Kleid mit dem Hotel-Ambrosia-Logo auf der Tasche, beigefarbene Strümpfe und bequeme Schnürschuhe. Das honigfarbene Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und mit einer Spange gesichert.
«Entschuldigen Sie bitte, Miss, soll ich Ihr Zimmer jetzt sauber machen oder lieber später wiederkommen?» Sie sah scheu zu Boden, um Augenkontakt zu vermeiden. Hinter ihr stand ein Wagen mit Reinigungsmitteln und frischen Betttüchern.
«Oh, das ist wirklich nicht nötig», sagte ich. Ich hatte es nett gemeint, aber sie schien sich durch meinen Vorschlag unbehaglich zu fühlen. Ratlos wartete sie auf weitere Anweisungen. «Aber es ist schon in Ordnung», sagte ich daher und ließ mich auf einem der Lehnstühle nieder. Das Mädchen war sichtlich erleichtert. Geübt und effektiv machte sie sich an die Arbeit, schüttelte das Bett auf und wechselte das Wasser in der Vase. Sie konnte höchstens sechzehn Jahre alt sein, aber trotzdem hatte ihre Gegenwart etwas Beruhigendes an sich, was vielleicht an ihrem offenen Gesicht lag, das in dieser bizarren Umgebung fast unpassend wirkte.
«Sagst du mir, wie du heißt?», fragte ich.
«Ich bin Hanna», antwortete sie prompt. Ihr Englisch klang ein wenig gespreizt, als ob sie es nicht als Muttersprache erlernt hatte.
«Und du arbeitest hier im Hotel?»
«Ja, Miss, ich bin Ihnen zugewiesen worden.»
Ich musste so verwirrt ausgesehen haben, wie ich mich fühlte, denn sie fügte hinzu: «Ich bin Ihr persönliches Zimmermädchen.»
«Mein persönliches Zimmermädchen?», wiederholte ich. «Aber ich brauche keins.»
Das Mädchen verstand meine Gereiztheit falsch, offensichtlich fürchtete sie, ich hätte etwas gegen sie persönlich. «Ich werde hart arbeiten», versicherte sie mir.
«Davon bin ich überzeugt», sagte ich. «Aber trotzdem brauche ich niemanden, der für mich arbeitet. Ich habe nicht vor, lange hierzubleiben.»
Hanna sah mich bedeutungsvoll an und schüttelte vehement den Kopf. «Sie können nicht gehen», sagte sie. «Mr. Thorn hat noch niemals jemanden gehen lassen.» Sie schlug sich die Hand vor
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