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Hades

Hades

Titel: Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Adornetto
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und sich das Glas langsam von innen heraus absenkte, spiegelte sein Gesicht Fassungslosigkeit wider. Molly stand da wie am Boden festgewurzelt, genau in der Schusslinie. Xavier blickte in ihre Richtung und schien das Risiko im Kopf abzuwiegen. Dann aber gewann sein Beschützerinstinkt, und er packte Molly und riss sie zu Boden. Als die Fensterscheibe zersprang und es wie in einem Hagelsturm Splitter regnete, schützte er ihren Körper mit seinem. Molly schrie auf. Meine Geschwister hingegen duckten sich nicht einmal oder versuchten sich selbst zu schützen. Während das Glas auf sie herabregnete, standen sie einfach still da. Es blieb in ihren Haaren und ihren Kleidern hängen, aber es verletzte sie nicht. Sie wirkten so unerschütterlich, dass ich das Gefühl bekam, weder Feuer noch Schwefel hätte sie aus der Fassung gebracht. Was auch immer kommen mochte, sie waren unerschrocken.
    «Schützt eure Augen», befahl Gabriel Molly und Xavier, die noch immer auf dem Boden kauerten.
    Donner und Blitz kündigten alles Weitere an. Dann folgte ein grelles weißes Licht, das jeden Winkel des Zimmers ausfüllte und jeden einhüllte, der sich darin befand. Es sah aus, als hätte sich der Raum in einen weiß glühenden Ofen verwandelt, wenn auch die Temperatur um mindestens zehn Grad gefallen war. Obwohl ich keinen Körper hatte, spürte ich die Kälte und versteckte mich instinktiv hinter dem Sofa, auch wenn mir keine Gefahr drohte. Die Luft wurde von einem schrillen Summen erfüllt, das klang wie eine atmosphärische Störung beim Fernsehen, nur lauter und so intensiv, dass alles zu vibrieren schien.
    Schließlich erschien mitten im Zimmer ein Engel, mit gesenktem Kopf und weit aufgespannten Flügeln, die von einer Wand bis zur nächsten reichten. Weil sie auf alle Wände, Decken und den Fußboden Schatten warfen, schienen sie das ganze Zimmer auszufüllen. Von seiner phosphoreszierenden Haut fiel schimmerndes Licht in Tropfen zu Boden, wo es sich auflöste. Als der Engel den Kopf hob, war sein Gesicht so wunderschön und engelhaft wie das eines Kindes, und trotzdem ließ sich dahinter etwas erahnen, das beherrschend und gefährlich sein konnte. In ihrer rechtmäßigen Form waren Engel mindestens ein paar Köpfe größer als die größten Menschen, und dieser Engel wirkte so gewaltig und mächtig, dass es dafür gar nicht sein metallenes Gewand brauchte. In nichts erinnerte er an einen Menschen, und man konnte nicht anders, als vor ihm Ehrfurcht zu empfinden. Er gab einem das Gefühl, dass er mit einem Wimpernschlag den Raum und alles, was darin war, zu Staub zerfallen lassen konnte.
    Seine jungenhafte Schönheit bildete einen starken Kontrast zu seinem Körper, der wie aus Marmor gemeißelt schien. Seine Augen blitzten, und sein Gesicht wirkte so ausdruckslos, als ob er tagträumte und ganz allein war, statt vor fassungslosen Zuschauern zu stehen. Dann bewegte er langsam den Kopf, vorsichtig, als ob er die Atmosphäre im Raum nicht gewohnt war, und ließ seinen furchterregenden Blick schweifen, bis er schließlich etwas fixierte, was die anderen nicht sehen konnten.
    Er sah mich direkt an. Mir reichte ein Blick, um zu wissen, wer er war. Es war unverkennbar. Er war der Erzengel Michael.

[zur Inhaltsübersicht]
    15
    Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?
    Es dauerte eine Weile, aber schließlich verblasste das blendende Licht, und das Dröhnen in unseren Ohren ließ nach.
    «Jetzt ist es sicher», verkündete Gabriel. Xavier sprang sofort auf, taumelte aber zurück, bis er an die Wand gepresst dastand, als er den Erzengel erblickte. Er schien sich an der Wand regelrecht festzuklammern. Aber nur einen Moment später straffte er sich, richtete sich auf und stellte sich der Gestalt gegenüber, ohne zu blinzeln oder sich abzuwenden.
    Für Menschen ist die himmlische Schönheit oft nicht zu verkraften, aber was das betraf, hatte Xavier schon einiges an Erfahrung. Ich sah, dass er den Atem anhielt, als ob seine Lungen nicht richtig arbeiteten. Etwas, das so automatisch funktionierte wie das Atmen, schien im Anblick Seiner Majestät überflüssig.
    Mollys Reaktion war dramatischer, ihre Augen weiteten sich so sehr, dass ich schon dachte, sie würden herausfallen. Ihre Hände rutschten schlaff zur Seite. Dann keuchte sie wie erstickt auf und fiel auf die Knie, bevor sie wie von einer Kette gezogen in Michaels Richtung sank. Sie starrte einen Moment vor sich hin, schloss die Augen und fiel in eine tiefe Ohnmacht. Michael hob

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