Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
sich in seiner ganzen eingebildeten Größe vor mir auf, faßte mich an der Gurgel und zog mich langsam, ein genüßliches Lächeln im Gesicht, zu sich empor.
Trotz des Schmerzes tat ich unbeeindruckt. Dieser vorgebliche Gleichmut zeigte Wirkung. Auf deutsch sagte er:
»Old Shatterhand, kennen Sie keinen Schmerz? Zwiebeln Ihre Fesseln noch nicht genug, haben die Indianer nicht tüchtig festgezogen?«
»Man hat Schlimmeres erlebt.«
»Ja, und man ist trotzig! Vielleicht wurde auch verabsäumt,
Ihnen ein paar Streiche aufzuzählen? Ich gleiche die Differenz gern aus!«
» Pshaw! Sie wollen doch nur, daß man mich möglichst schnell an den Pfahl stellt. Wenn ich schon leiden soll, dann richtig.«
»Nein, wie großartig Old Shatterhand doch ist! Der Blutsbruder Winnetous sehnt sich nach seinem Ende; noch im schlimmsten Leide will er ein Held sein – Sie wissen nicht, was draußen vorgeht! Die Roten legen die Farben des Opfertanzes an, und sämtliche Herren der Washburn-Expedition, gleich Ihnen und Ihren Freunden, bestehen nur noch aus Schnüren. Wem von uns wird wohl ein längeres, angenehmeres Leben beschieden sein?«
Ich hätte zu diesen Unverschämtheiten manches sagen können, beließ es aber dabei, Hayes zu entgegnen:
»Schämen Sie sich, uns den Indianern auszuliefern. Ich bin Deutscher und Sachse wie Sie.«
»Ja, Old Shatterhand, und ich gebe Ihnen noch den Bayern dazu, Ihren königlich-versponnenen Herrn Hirtreiter. Dieser Mensch ist ja völlig wirr im Kopf, jeden der Indianer fragt er nach Kochrezepten. Der Orientale hingegen jammert um irgendeinen Teppich, und Mister Everts zittert vor Angst. Er ist aber sehr gesprächig und hat mir alles erzählt – Sie führen also eine Reiseapotheke mit sich, einen ganzen Vorrat an Brillen? Warum nicht auch Salbenbüchsen und Heilkräuter? Immer will Old Shatterhand ein barmherziger Samariter sein!«
»Spotten Sie nur, Hayes. Für einen Menschen kann es nichts Vornehmeres geben, als anderen zu helfen. Vielleicht kommen auch Sie einmal in eine Lage, wo Sie froh sein werden, wenn man Ihnen Mitgefühl entgegenbringt.«
»Ich verzichte darauf, und wenn ich in einem Höllensud verkoche! Ja, Old Shatterhand, Sie sind ein großer Prediger. Zwar sehen wir uns ähnlich, aber wir könnten kaum unterschiedlicher sein. Damit Sie es nur wissen: Lange vor meiner Ankunft in Amerika habe ich jegliches Mitgefühl aufgegeben. Immer trug es mir nur Mißverständnisse ein. Auch ich wollte einmal ein braver Bürger
sein. Auch ich war einmal bereit, dem Buchstaben des Gesetzes zu folgen. In unserer Dresdner Frauenkirche sang ich den ersten Baß; ich glaubte und lebte in Gott, genau wie Sie. Und ich hoffte auf eine glückliche Zukunft, war voller Zuversicht auf ein rechtschaffenes Leben, wo selbst das Tabakrauchen auf der Straße verboten ist. Aber dann – dann – – – «
»Dann wurden Sie zu Ma-ta-weh, zum Verbrecher«, half ich nach.
»Nein!« schrie Hayes. »Das ist nicht wahr! Ein Ausrutscher war es, mit dem alles begann, eine jungenhafte Dummheit, die mich aus der Bahn warf. Wie sehr habe ich dafür bezahlt, wie unbarmherzig hat das Gesetz, dem ich mich verpflichtet glaubte, mich angefaßt. Aber Gnade, Nachsicht, Mitgefühl? Alles nur Sonntagsreden! Eingesteckt hat man mich, ins Zuchthaus gepackt, weil ich nicht geständig war, mich nicht reuig erzeigte. Etliches andere wollte man mir anhängen; man hatte mich einmal im Sack und glaubte, aus mir ein Scheusal machen zu können. Aber was ich alles durchlitten habe, gehört nicht hierher, ich lebe ja noch. Seither interessiert mich nur noch eines: Geld! Sein Besitz bedeutet Freiheit, darum will ich möglichst viel davon anhäufen, das ist mein Lebensziel geworden. Wohlhabend bin ich schon, aber im Vergleich zu den Majestäten und Magnaten drüben in Europa bin ich eher ärmlich. Nicht Hunderttausende zählen in der Welt, Reichtum wird in Millionen gemessen, mindestens! Wem Respekt gezollt wird und wem nur Aufmerksamkeit zuteil wird, das entscheiden Zahlen. Old Shatterhand freilich kann sich Tugendhaftigkeit leisten, er ist schon immer reich gewesen.«
Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen – was hatte Hayes da gesagt?
»Hayes, Sie reden irr: ich und reich?«
»Wollen Sie es bestreiten? Unbedingt hat man Old Shatterhand zu den Wohlhabenden zu rechnen.«
»Sie glauben ernstlich, ich besäße Geld?«
»Jede Menge, Sie sind reich! Vielleicht sogar reicher als ich.«
Hayes, dem es nichts mehr auszumachen schien,
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