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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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tipptopp gewesen.
    Bis jetzt!
    Seit sie sich angeblich den Fuß gebrochen hatte und ihre wie bestellt aufgetauchte Verwandte sie pflegte, hatte im Garten keiner mehr einen Handschlag getan. Das Unkraut stand wie gesät in den Beeten. Die Ziege hatte Wohlan auch lange nicht mehr gesehen oder gehört. Wie lange laborierte eine alte Frau an einem gebrochenen Fuß? Und warum waren die Rollläden im Untergeschoss ständig heruntergelassen?
    Nun, er, Karl Wohlan, würde es herausfinden, hier und heute!
    Er schnappte sich den Flyer eines Pizza-Lieferdienstes, den er der alten Kreiling sonst überhaupt nicht zugestellt hätte, und stiefelte die Straße hinauf. Zu seiner Linken rauschten die Birken im leichten Wind, ansonsten war es still. Allerdings klang ihm noch der Vorwurf seiner Frau in den Ohren: Was geht es dich an? Warum musst du dich um diese alte Frau kümmern? Du bist nur der Postbote! Er war nur der Postbote, richtig, aber damit vielleicht auch der einzige Mensch, der Mechthild Kreiling regelmäßig zu Gesicht bekam. Der Einzige, der Verdacht schöpfte. Vielleicht war die Kreiling längst tot, und diese Verwandte kassierte ihre Rente!
    Je näher er dem Haus kam, desto langsamer wurde er.
Das Haus wirkte duster, abweisend, so als würde es jeden verschlingen, der sich ihm näherte. Noch immer waren die Rollläden heruntergelassen, und schon von Weitem konnte Karl Wohlan die Werbung erkennen, die er am Montag in den Postkasten gesteckt hatte. Absichtlich hatte er eine Ecke der Postwurfsendung so zwischen Klappe und Briefkasten eingeklemmt, dass man sie sehen konnte.
    Wenige Meter vor der Gartenpforte blieb Karl stehen. Sollte er oder lieber doch nicht? Den Flyer in den Briefkasten stecken und abhauen oder klingeln? Noch vor ein paar Minuten war sein Vorhaben klar definiert gewesen: Er wollte sich nicht abweisen lassen, bevor er nicht mit der alten Kreiling gesprochen hatte. Plötzlich aber erschien ihm der Vorwurf seiner Frau berechtigt. Er war doch nur der Postbote, was ging es ihn an? Nichts! Nicht seine Sache! Er hatte seine eigenen Probleme, brauchte die anderer Leute nicht noch dazu.
    Aber diese angebliche Verwandte hatte ihn sicher längst gesehen, und es wäre viel zu peinlich, jetzt einen Rückzieher zu machen. Also gab Karl sich einen Ruck und ging weiter. Die Gartenpforte des Jägerzauns quietschte ein wenig in den Angeln. Vor der Haustür angekommen zögerte er nur kurz und drückte dann den Klingelknopf. Drinnen schellte die altmodische Klingel. Karl holte tief Luft, reckte das Kinn nach vorn und straffte die Schultern. Mit dieser fetten Kuh würde er schon fertig werden!
    Doch sie kam nicht. Auch das zweite Klingeln blieb ohne Reaktion. Karl Wohlan wartete ein paar Minuten, dabei kam ihm der Gedanke, dass dies eine Fügung des Schicksals sei. Wenn die Verwandte nicht da war, konnte er sich ja mal ein wenig umsehen. Nicht aus Neugier, Gott bewahre, sondern aus Pflichtgefühl und Zivilcourage!

    Nach dem dritten Klingeln und ausreichender Wartezeit ging er zum linken Fenster hinüber. Die Rollläden waren zwar unten, zwischen den Lamellen aber gab es winzige Schlitze, durch die er vielleicht etwas erkennen konnte. Leise und vorsichtig presste Karl sein rechtes Auge gegen den Metallrollladen, kniff das linke zusammen und spähte hinein. Eine vergilbte Gardine war vorgezogen, außerdem war es dunkel da drinnen. Er konnte überhaupt nichts erkennen. Die fette Kuh hätte ihn von drinnen anstarren können, und er hätte es nicht bemerkt. Dieser Gedanke ließ ihn schnell zurücktreten.
    Was nun?
    Ein Blick in den Garten konnte nicht schaden. Vielleicht war an der Rückfront des Hauses ein Fenster geöffnet oder ein Rollladen nicht heruntergelassen.
    Den Pizza-Flyer noch immer in der Hand, ging Karl Wohlan um das Haus herum. Sein Herz schlug schnell. Der große Garten hinter dem Haus war ebenfalls ungepflegt. Überall wucherte Unkraut. Das hätte die alte Kreiling niemals zugelassen! Und die Ziege? Wo war die Ziege, ihr Ein und Alles?
    Karls Blick ging zu dem niedrigen Bretterschuppen, von dem er wusste, dass dort die Ziege untergebracht war. Nichts rührte sich, kein Geräusch außer dem Singen der Vögel und dem Rauschen der Blätter in den Obstbäumen. Der große Ast eines alten Kirschbaums lag abgebrochen quer über dem Plattenweg. Karl stieg darüber hinweg. Die Bruchstelle war frisch. Wahrscheinlich hatte der letzte Gewittersturm den Ast abgebrochen. Am Schuppen angekommen blieb er stehen und sah sich um.

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