Haeppchenweise
mich in einer Fernsehshow mit einer typischen Handbewegung erklären zu müssen, wäre es mit Sicherheit das blinde Schleifenbinden im Rücken.
Sascha gestikuliert mit den Händen in der Luft herum.
„Dann eben Apfelschorle.“
Die ist auch bald aus. Ich hebe den Daumen, schiele zur Feinkostabteilung und verwerfe den Gedanken, Mutti zu bitten, am Tresen die Stellung zu halten, während ich im Getränkekeller nach vergessenen Fruchtsäften suche.
Meine Mutter schwebt derzeit in einer Art hormonellem Ausnahmezustand. Statt der verschnupften Helga in der Küche zuzuarbeiten, kniet Martha Lehner verträumt vor dem Gewürzregal und staubt mit einem Backpinsel ihre Gläser ab. Hin und wieder schielt sie zu dem einzelnen Herrn am Ecktisch, der ihren Hintern nicht aus den Augen lässt. Er rückt die Fliege unter dem steifen Hemdkragen zurecht und winkt ihr zu. Prompt stößt Mutti das Currypulver um.
Dabei meinte ich es nur gut, als ich ihr zum Geburtstag einen Computer schenkte. Gehörlose kommen im Alltag schwer miteinander in Kontakt und das Internet bietet unzählige Austauschmöglichkeiten. Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie sich auf drei Kontaktplattformen gleichzeitig anmeldet, von einem Blind Date zum nächsten stöckelt und sich wöchentlich neu verliebt!
Grundsätzlich gönne ich ihr den zweiten Frühling ja. Aber ihre Dates lassen ihr kaum Zeit, mir im Laden zu helfen und falls sie mal hereinschneit, ist sie geistig sonst wo. Kopfschüttelnd wende ich mich dem Teeregal über der Kaffeemaschine zu.
Vor Kurzem habe ich meine Sammelleidenschaft für ausgefallene, antike Teedosen entdeckt und gerate jedes Mal in Entzücken, sehe ich die silbernen, kupfernen oder messingbeschlagenen Döschen. Muss in der Familie liegen, wenn ich Mutti so betrachte, die gerade liebevoll ein eingerissenes Etikett von einem Gewürzglas abzieht, um es neu zu beschriften.
Auch in meinen kleinen, schmucken Behältnissen ruht etwas ganz Besonderes und dank der Probepäckchen meines Teehändlers immer Neues, Aufregendes. Nur spaßeshalber habe ich letzten Monat damit angefangen, blind zu erraten, aus welchen Zutaten die Teemischungen bestehen. Mittlerweile ist es eine Art Tagesritus geworden, durch den ich heute mühelos Vanillearoma von echter Vanille unterscheiden und sogar Kakaoanteile in Lebensmitteln einschätzen kann. Sascha und Julia hatten mein „Schnupperritual“ zunächst nur milde belächelt und einander vielsagend angesehen. Vorige Woche habe ich Sascha allerdings mit der Nase in „Südseefieber“ erwischt. Reiner Zufall, wie er beteuerte, aber seitdem macht sich komischerweise niemand mehr über mich lustig.
Ich schüttele einige Teedosen. Hm. Die meisten fühlen sich fast leer an, und wenn ich so darüber nachdenke, hat der Teehändler schon länger keinen Tee mehr geschickt. Mit geschlossenen Augen greife ich nach einer geriffelten Dose und schraube den Deckel auf. Kurz ausatmen, dann einatmen und Bilder sehen. Weiches Afrika, feuriger Orient. Unverkennbar Kardamom. Zimt, eine Prise Pfeffer und ... Orangenschale? Ich halte das Döschen näher an mein Gesicht. Doch kein Orange. Aprikose wahrscheinlich ...
„Haben Sie Suppengrün?“
Ich drehe mich um und beuge mich etwas nach vorne, um die gebrechliche Frau anzulächeln, die so klein ist, dass sie kaum über die Theke schauen kann.
„Guten Tag, Frau Gruber! Suppengemüse habe ich da, ganz frisch und extra für Sie beiseitegelegt. Ist heute früh gekommen.“
Natürlich verrate ich ihr nicht, dass im Kühlraum eine Kiste steht, in der ich Suppengemüse, Kohl, Möhren und Zwiebeln für sie lagere. Ich habe es längst aufgegeben, Mütterchen erklären zu wollen, dass das Cook & Chill kein Obst- und Gemüsegeschäft ist. Schon zu Zeiten meines ersten Kochbuchladens hatte Frau Gruber darauf beharrt, freitags Gemüse bei mir zu kaufen – in dem vermeintlichen Gemüseladen, der längst geschlossen war. Dass Mütterchen jetzt sogar Straßenbahn fährt, um ihre Kartoffeln abzuholen, sagt mir immerhin, dass ich im Zweifelsfall auch zur Lebensmittelhändlerin tauge.
„Darf es denn noch etwas sein? Ich habe frische Möhren. Und Erdäpfel.“
Der fremde Gast an der Theke sieht von seiner Zeitung auf. Ich lächle ihn an und zwinkere. Der Blick, den er mir daraufhin zuwirft - ein wenig erstaunt und mit einem Anflug von Anerkennung in den minzblattfarbenen Augen, ehe sie wieder in den raschelnden Seiten versinken - genau dieser Blick ist für keinen Unternehmer in Gold
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