Haeppchenweise
aufzuwiegen.
„Wie viel kostet das?“, fragt Mütterchen mit schleppender Stimme und hält mir ihre Börse entgegen.
„Das macht bitte zwei Euro. Ich packe Ihnen noch etwas Suppe von gestern ein, wenn´s recht ist.“
Frau Gruber liebt Julius´ Gemüsesuppen. Und wer weiß schon, wie oft die alte Frau ein warmes Essen bekommt. Ich zähle das Kleingeld aus Mütterchens Börse, umrunde die Theke und stecke das Etui in ihren Stoffbeutel zurück.
„Ich hole ihre Bestellung, Frau Gruber. Bin gleich wieder da.“
Als die alte Frau den Laden verlassen hat, bimmelt Muh ihr noch lange freundlich hinterher. Frau Gruber bedankt sich nie und verabschiedet sich auch nicht. Trotzdem glaube ich, dass ihr der Einkauf im Cook & Chill viel bedeutet.
Der Mann mit den Minzeaugen räuspert sich und faltet seine Zeitung zusammen.
„Entschuldigen Sie ...“ Seine Augen sind wirklich phänomenal. Natürlich nicht so phänomenal wie Felix´Augen, aber nahe dran.
„Möchten Sie noch einen Cappuccino?“
„Nein danke.“ Er kräuselt die Mundwinkel und greift in seine Jackentasche.
„Ich schicke meinen Kollegen zum Kassieren ...“ Misstrauisch mustere ich die Visitenkarte, die er mir entgegen hält.
Gunter Falk. Journalist. Genusto, Redaktion Berlin.
Will der jetzt mit mir flirten? Als ob ich ... GENUSTO?!
Mein Puls schießt nach oben, Falk lacht auf. Ich muss reichlich dämlich aus der Wäsche gucken, aber wie soll man schon gucken, wenn der Reporter eines internationalen Food-Magazins vor einem an der Theke sitzt und geruhsam Cappuccino schlürft?
„Ich würde gerne über Sie schreiben. Ich meine natürlich, über Ihren Laden ..., den ich übrigens ganz außergewöhnlich finde. Kochbücher und Bistro. Auf die Geschäftsidee muss man erst mal kommen.“
Hatte ich schon erwähnt, dass Pefferminzgrün meine absolute Lieblingsfarbe ist?
Zwei Stunden später betrete ich erschöpft, aber glücklich das Arbeitszimmer und lasse mich sofort in meinen Sessel fallen. Vorsichtig streife ich die Ballerinas von meinen nackten Füßen, mir entfährt ein Laut irgendwo zwischen Schmerz und Erleichterung. Schlechte Idee, keine Söckchen zu tragen, denn auf den Kuppen beider Mittelzehen prangt je eine centgroße Blase.
„Das Cook & Chill ist ein Sarg“, gebärdet Mutti immer und gibt dabei ein pfeifendes Geräusch der Resignation von sich, weil sie genau weiß, dass ihre mahnenden Worte auf fruchtlosen Boden fallen.
Denn ich möchte nichts anderes tun, als in diesem Laden zu stehen, der mein Leben laut, bunt, und voller magischer Schnappschüsse macht. Das sterile Anwaltsvorzimmer, in dem ich jahrelang vor mich hin getippt habe, erscheint mir dagegen wie eine vergilbte Schwarz-Weiß-Aufnahme.
Ich lächle, vornehmlich in Erinnerung an das Interview mit Falk, eher ein netter Kaffeeplausch, als das befürchtete Gourmetverhör. Er hat Fotos vom Cook & Chill geschossen und mir einen wundervollen Artikel versprochen. Hoffentlich sehe ich nicht allzu ... mein Blick fällt auf den Schreibtisch. Die Berge von Post waren vorher bestimmt noch nicht da. Oder doch?
Leider warten die Briefbögen nicht auf die Ablage, sondern bestehen aus unerledigtem Schriftverkehr und unbezahlten Rechnungen. Obenauf liegen Umschläge, die ich gar nicht erst geöffnet habe. Ich erinnere mich dunkel an eine lächerlich niedrige Summe auf einem meiner Kontoauszüge. Das war im März, glaube ich. Die darauf folgenden Auszüge müssen irgendwo unter diesem Mount Everest der Verbindlichkeiten vergraben sein.
Eine Kurzschlussreaktion. Ich strecke den Arm und hole aus. Wuschhh!
Die Unterlagen fegen von der Tischplatte und segeln auf den Boden. Ich stütze den Kopf in meine Hände und betrachte hilflos den Papierhaufen zu meinen Füßen. Wo fängt man bloß an, wenn man längst den Überblick verloren hat? Ich knie nieder und klaube wahllos die Dokumente auf.
Zehn Minuten später schleppe ich drei blaue Müllsäcke in den Hof. Das Schließgeräusch der Papiercontainer-Klappe hört sich extrem befreiend an, zumal mich bei meiner Rückkehr ein scheinheiliger, blanker Arbeitstisch erwartet. Die Email schreibt sich fast von alleine und mein Zeigefinger schickt die Bitte um Zahlungsaufschub an alle Lieferanten. Frei nach Vogel Strauß: Schnabel in den Sand, nichts zu sehen, nix da. Mag zwar kein Masterplan sein, verschafft mir jedoch Luft für einen Monat.
Ich male gerade Blümchen und kleine Schmetterlinge auf meine Schreibtischunterlage, als sich die Tür
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