Haertetest
Köpfe reckten sich, Kleidung raschelte. Aber niemand applaudierte. Warum auch? Ich hatte ihr Buch Lieber gleich was auf die Finger gelesen und war gänzlich nicht ihrer Meinung. Maja hatte noch nie auch nur einen Klaps bekommen.
Okay, ich hatte gelegentlich Schwierigkeiten, mich durchzusetzen, aber mit Hauen und Schlagen kam man auch nicht weiter. Dann lieber Gummibärchen und Fernsehen als Bestechung. Und genau diese Erziehungsmethode tat Schmidt-Günther als schwach ab. Sie erklärte, man müsse den Kindern zeigen, wer der »Herr im Hause« sei, und andere Absurditäten, die schon lange veraltet waren.
Sie setzte sich nun in Pose an einen Tisch mit Mikrofon. Hinter ihr zeigte eine Leinwand das Cover ihres Buches. Sie räusperte sich, Stille herrschte. Sogar die Kinder warteten, was nun passierte. Frau Schmidt-Günther räusperte sich noch einmal, ihr Mikro quietschte, und sie sah überhaupt nicht glücklich aus.
Aber mit jemandem, der behauptete, unsere Kinder seien allesamt garstige, freche Monster und wir Mütter schlicht nicht in der Lage, uns durchzusetzen, konnte ich kein Mitleid haben.
»Warum sind wir hier?«, fragte Judith Schmidt-Günther. Ich hätte ihr gleich sagen können, dass das kein guter Einstieg war.
»Das frag ich mich auch!«, rief ein Vater. Alle lachten und drehten sich um, um zu sehen, wer da gesprochen hatte. Es war Johannes, einer der »guten Väter«, die bei Sommerfesten Kuchen backen und Luftballons aufpusten, Pflaster aufkleben und Rotznasen abwischen konnten. Und das alles gleichzeitig. Da konnte er viel mehr als ich.
Eine Ökomutti mit roten Henna-Locken, die hinter einem Tapeziertisch Bionade ausschenkte, schrie ins allgemeine Gelächter und Getuschel: »Sie können auch gleich wieder gehen!« Die Aggressionen gegenüber dem Menschen, der uns nun »zu besseren Eltern« erziehen wollte, hätte man in der Luft mit einem Kuchenmesser schneiden können.
Apropos. Ich schob mich mit Maja an der Hand in Richtung Kuchenbuffet. Wenn ich nervös bin, muss ich immer essen. Auch wenn mir langweilig ist oder wenn ich mich ärgere. Aber jetzt war ich vor allem nervös.
Maja grabschte sich ein Stück Smarties-Kuchen vom aufgebauten Tapeziertisch am Ende der Turnsaales.
»Nicht!«, zischte ich in ihre Richtung, allerdings mehr aus Reflex. Mit den Augen suchte ich den Raum ab. Saskia, Katha, Irene und Julia suchten ebenfalls meinen Blick. Wir nickten uns zu und grinsten verschwörerisch. Jede von uns stand vor einem Tisch, der über und über mit Kuchen und Keksen bestückt war.
Frau Schmidt-Günther fing jetzt an zu schwitzen. Ich sah Schweißperlen auf ihrer botoxglatten Stirn perlen. Die feindselige Stimmung war ihr wohl nicht entgangen. Dabei hatte ich sie gar nicht für besonders feinfühlig gehalten.
»Ich, äh … Also«, stammelte sie ins Mikro, es quietschte wieder laut, Kinder lachten und kreischten, und sie warf Hilfe suchende Blicke zu Frau Fischer.
Diese stampfte über die kleine Treppe auf die Bühne und schnappte sich genervt das Mikrofon, um es aus- und wieder anzuschalten. Dabei wirkte nun sogar die gefürchtete Erziehungsberaterin wie ein Schulmädchen, das absichtlich für technische Schwierigkeiten gesorgt hatte.
»Jetzt müsste es aber gehen. Und fangen Sie doch bitte mal an!«, schnauzte sie Frau Fischer wenig warmherzig an und stopfte der verdutzten Schmidt-Günther das Mikro wieder in die Hand.
Diese fing sich anscheinend, stand von ihrem Platz auf und begann, ein paar Schritte auf der Bühne zu gehen. Ihre Stimme war jetzt gefasst: »Liebe Mütter und Väter, liebe Erzieherinnen. Vielen Dank, dass Sie alle so zahlreich zu meinem Vortrag erschienen sind. Mit so einem Andrang hatte ich eigentlich an einem so windigen Nachmittag gar nicht gerechnet. Vor allem werden Sie hoffentlich verstehen, dass ich sehr erstaunt bin über die Anwesenheit der vielen Kinder … Sagen wir mal, normalerweise ist es nicht üblich, dass die Kinder an den Vorträgen teilnehmen. Denn schließlich sollen sie ja nicht wissen, dass wir solche Probleme …« Das »mit ihnen haben« ging im Protestgeschrei der Mütter unter.
»Wir haben überhaupt keine Probleme mit den Kindern!« – »Die Einzige, die hier Probleme hat, das sind SIE , aber gewaltig!« – »Sie haben selber nicht mal Kinder – was machen Sie eigentlich hier?« Alles schrie durcheinander.
Frau Schmidt-Günther wollte für Ruhe sorgen. Sie verdrehte die Augen gen Himmel und bat: »Ruhe bitte! Wir sind
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