Haertetest
allerdings vorgewarnt.
Zusammen mit den anderen Matschepampe -Müttern stand ich jetzt dick eingemummelt in meiner Regenjacke vor dem Tor des Kindergartens, um Frau Schmidt-Günthers Ankunft mitzuverfolgen.
Punkt drei Uhr fuhr ein dicker schwarzer Mercedes auf dem matschigen Parkplatz vor. Bis zum Auftritt hatte sie noch eine halbe Stunde Zeit, um sich vorzubereiten. Wie auch immer das aussehen sollte. Vielleicht malte sie sich ein kleines Hitler-Bärtchen ins Gesicht oder aß ein paar rohe Katzen. Ich hielt sie für den Teufel persönlich.
Meine spontane Idee, ihr Auto mit Sand und Schlamm zu bewerfen, verwarf ich sofort wieder. Damit hätte ich ja nur gezeigt, dass nicht nur die Kinder, sondern auch wir Eltern Monster sind. Nein, wir würden uns völlig gesittet und zivilisiert verhalten. Zumindest bis ich nachher das Zeichen zum Beginn der Schlacht gab. Also standen wir in aufgeregter Erwartungshaltung hinter dem Zaun und verhielten uns ruhig.
Bis auf das leichte Tröpfeln des Nieselregens auf unseren Regenschirmen und gelegentliches Geplärre eines Kindes war es relativ still. Alle starrten auf das glänzende Auto, das gerade schwungvoll mitten in eine Pfütze rauschte.
Der Name des Kindergartens, Matschepampe, kam ja auch nicht von ungefähr. Der Parkplatz bestand aus einem riesigen Areal aus Sand und Schotter, das im Sommer pupstrocken war und sich als Feinstaub fast komplett an die Garderobe heftete, wenn man sein in eine Staubwolke gehülltes Kind abgeben wollte. Nicht so im Herbst. Maja freute sich morgens immer über die »Sumpflandschaft«, in der, wie sie meinte, sogar seltene Sumpfgräser zu finden waren.
Frau Schmidt-Günther sah uns durchs Mercedesfenster am Zaun stehen, erschrak kurz, fasste sich wieder, ignorierte uns, öffnete elegant die Fahrertür, schwang ihre Füße aus dem Wagen – und versank bis zu den Knöcheln im Schlamm. Wir Mütter konnten uns ein Prusten nicht verkneifen. Kinder fingen an zu kreischen und zeigten mit den Fingern auf sie.
Frau Schmidt-Günther schien not amused über ihren Fauxpas. Ihrem Gang und auch ihrem Gesicht sah man an, dass ihr das brackige Wasser bis zu den Knöcheln in den schicken Pumps stand.
Frau Fischer bahnte sich einen Weg durch die Menge, eilte der leicht säuerlich wirkenden Erziehungsautorin entgegen, streckte ihr eine Hand und einen Regenschirm hin und redete schnell auf sie ein. Ich verstand mehrere Entschuldigungen, einen Willkommensgruß und den ungefähren Ablauf des heutigen Nachmittages.
Dann legte sie ihr eine Hand auf den Rücken und schob sie durch die geifernde Mutti-Meute in Richtung Kindergarten. Claudia, die Mama von Annika, und ich, sahen uns an, grinsten verschwörerisch und folgten Frau Fischer und Frau Schmidt-Günther, begleitet vom Chor aus Hunderten von Kinderstimmen, die riefen: »Wir sind keine Monster, wir sind keine Mons-ter, wir sind keine …«
Moment mal? Was riefen die da? Oh, nein. Maja und einige andere der Drei- und Vierjährigen fanden alles spannend und lustig, hatten aber den Sinn des Ganzen offensichtlich noch nicht ganz durchschaut. Sie riefen voller Leidenschaft: »Wir sind kleine Monster, wir sind kleine Monster«, bis auch alle anderen diesen Schlachtruf übernommen hatten.
Frau Schmidt-Günther und Frau Fischer schienen es aber nicht weiter zu bemerken, zumindest zeigten sie keinerlei Reaktion. Schnellen Schrittes eilten sie an weiteren Pfützen vorbei hinein in den schützenden Kindergarten.
In der Turnhalle waren die zehn Stuhlreihen schon voll besetzt. Eine Journalistin des Pinneberger Tageblattes stand erwartungsvoll am Rand. Dank Katharinas Einladung rechnete sie mit dem spektakulären Auftritt einer Terror-Autorin, die die gesamte Mütterwelt in Angst und Schrecken versetzte.
Genau betrachtet sah Frau Schmidt-Günther aber gar nicht aus wie eine Terror-Autorin. Eher wie eine ganz normale Frau, eine Art Lehrerin, die sich für einen Auftritt schick angezogen hatte. Mit einem grauen Kostüm und Schlamm in den Schuhen. Sie verschwand mit Frau Fischer hinter dem Vorhang des Turnsaals.
Die kleine Turnhalle füllte sich schnell, auch die Stehplätze am Rand waren bald alle belegt. Die Kinder durften sich wie beim Kasperle-Theater in die ersten Reihen setzen. Mütter und Väter fingen an zu plaudern, eine gespannte Erwartungshaltung lag in der Luft. Noch zehn Minuten bis zum Auftritt.
Pünktlich um halb vier öffnete sich der Vorhang, und Frau Schmidt-Günther betrat die Bühne.
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