Haertetest
rubbelte. Die Schwimmlehrerin Vanessa kam auf mich zu.
»Frau Ahorn, ich wollte Ihnen noch mal persönlich sagen, wie toll Maja heute geschwommen ist.« Mein Herz fing an, schneller zu klopfen, ich hatte sogar ein kleines Flattern im Bauch, wie von einem aufgeregten Schmetterling. Wie albern, ich fühlte mich regelrecht verliebt! Maja hörte auf zu reden und schaute ihre Lehrerin ebenfalls erwartungsvoll an. Vanessa lächelte.
»Prima gemacht, weiter so! Das Seepferdchen kriegst du bestimmt!«
Dann ging sie die anderen Mütter suchen, vermutlich, um ihnen das Gleiche zu sagen. Mitarbeitermotivation nennt man das. Aber es wirkte. Maja strahlte. Ich auch. Ich war so stolz auf meine Tochter. Und es fühlte sich an wie Verliebtsein, wenn nicht noch besser.
»Mama, das saff is doch, oder?«
»Na klar, mein Schatz, das schaffst du ganz bestimmt!«, versicherte ich ihr und drückte sie fest an mich, nass wie sie war mit ihren strubbeligen Haaren.
Wie aufregend! Wenn sie so weitermachte, bekam Maja am Donnerstag ihr Seepferdchen! Dann war sie groß! Mir stiegen die Tränen in die Augen. Ein so wichtiger Meilenstein in ihrem kleinen Leben. Ich war richtig aufgeregt, ob sie es wirklich schaffte, und wünschte mir nichts mehr für sie als das.
Auf dem Weg zum Auto hörte ich ein Mädchen kreischen. Maja? Nein, die hüpfte fröhlich neben mir. Obwohl es stürmte und wieder leicht nieselte, wollte ich doch wissen, was los war, und suchte mit den Augen den Parkplatz ab.
Aha. Drei Autos weiter schrie ein kleines Mädchen seine Mutter an: »Ich geh nie wieder dahin! Ich hasse das Schwimmen!«
Ach, sieh an, die perfekte Klara. Supermutti machte keinen besonders glücklichen Eindruck. »Klara, ich hab dir doch gesagt …«
»Nein!«, kreischte Klara. »Ich will nicht mehr! Und zum Karate geh ich auch nicht und zum Fußball auch nicht! Das ist alles blöd! Und du bist oberblöd!«
Ich grinste. Fast hätte Klaras Supermutti mir leid getan. Aber eben auch nur fast.
Zu Hause föhnte ich Majas Haare trocken, und wir räumten zusammen die Küche auf, bis es Maja zu langweilig wurde. Dann malte sie am Küchentisch Dinosaurier und Killerwale mit Wasserfarben. Ich lobte sie dafür, dass sie es schaffte, nicht den Wasserbecher umzustoßen, und auch sonst verlief die Zeit bis zum Abendbrot friedlich. Ein ganz normaler Abend im Oktober, könnte man meinen.
Ganz normal war aber irgendwie gar nichts. Maja tat etwas, das für eine Vierjährige eigentlich viel zu viel war: Sie gab mir den Halt und die Routine, die ich brauchte, um jetzt nicht völlig durchzudrehen. Und wenn sie schlief, würde ich mit Lilly besprechen, wie ich weiter vorgehen sollte. Seit ich Jonas’ Ehering vor einigen Wochen im Nachttisch gefunden hatte, schien mir nichts mehr so, wie es sein sollte. Vielleicht dramatisierte ich, vielleicht auch nicht.
Ich hatte das Gefühl, dass mir der Treuetest von Megaradio heute wie gerufen gekommen war. War das ein Zeichen? Ich war so unglaublich abergläubisch, verfluchte ich mich selbst, als ich für Maja und mich den Tisch deckte. Ich glaubte an jede hanebüchene Glücksnuss bei Facebook, die einem die Zukunft voraussagte – mal ehrlich, nicht mal Zehnjährige glaubten an so einen Unsinn –, klopfte mir dreimal selber auf die Schulter, wenn ich eine schwarze Katze sah, und hatte Jonas am 5.5.2005 geheiratet, weil ich hoffte, dass uns das Glück bringen würde. Und heute Morgen kam der Treuetest im Radio, gerade als ich darüber nachdachte, ob Jonas mir wohl treu war. Was mochte das bloß bedeuten? Lilly würde bestimmt etwas dazu einfallen.
Ich schmierte Maja ein Käsebrot und schnitt kreativ zwei Scheiben einer Gewürzgurke ab, die ich als Augen auf das Brot legte. Ein Streifen Paprika wurde der Mund. Eine kleine Karottenscheibe diente als Nase. Fertig war das Käsebrotgesicht. Sollte ich das schnell fotografieren und später bei Facebook posten? Ach nein. Dann wäre ich ja genauso schlimm wie Klaras Mutter mit ihrem permanenten Drang nach Bestätigung.
»Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Käsegesicht«, lachte Maja, als sie mir gegenüber auf ihren Hochstuhl kletterte. Ich vermisste Jonas. Maja dagegen kannte es ja gar nicht anders. Wir fassten uns an den Händen und machten »Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb, guten Appetit!«, dann klatschten wir in die Hände und sagten gleichzeitig: »Und jetzt essen wir.« Das war unser Abendbrotritual. Maja liebte es. Und ich kam mir jeden Abend
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