Haertetest
dermaßen traf, wunderte mich selbst. Es war wahrscheinlich gestellt. Andererseits zeigte es mir auch, dass es solche Situationen im wahren Leben eben auch gab. Und dass wohl niemand dagegen gefeit war. Jonas verhielt sich in der letzten Zeit wirklich anders als sonst, und ich meinte, dass das nicht nur mit seiner Beförderung zu tun hatte.
Wie auch immer die Sache lag, es konnte jedenfalls nicht schaden, wenn ich mich für ihn wieder ein bisschen mehr zurechtmachte. Ehrlich gesagt könnte ich sogar verstehen, wenn er sich nach jemandem umsah, der sich morgens regelmäßig duschte und schminkte und dessen Klamotten nicht zehn Jahre alt waren. Ich sah mich noch einmal genau im Spiegel an. Gruselig war so ziemlich der richtige Ausdruck.
Früher war ich gelegentlich im Herbst gerne ins Solarium gegangen, jetzt starrte mich ein leichenblasses Etwas mit überdimensionierten Augenringen an. Seit Ewigkeiten hatte ich keinen Friseurtermin mehr gehabt, und das bekam meinen blonden Strähnchen überhaupt nicht. Sie waren etwa handbreit rausgewachsen – und was war das? Ich sah genauer hin und zog erschrocken die Luft ein: Am Ansatz sah man deutlich graue Haare! Panik durchschoss mich. Hilfe! Ich brauchte sofort einen Termin.
Nein, ruhig Blut, Sophie, das ist alles nicht schlimm, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Kommt Zeit, kommt Haarfarbe. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es jetzt ja auch nicht mehr an. Langsam entspannte ich mich wieder.
Die Badewanne war halb voll. Oder war sie noch halb leer? Nein, für mich war sie halb voll, und ich würde mich gleich wohlig in mein duftendes Schaumbad gleiten lassen. Ich kippte noch ein bisschen Gute-Laune-Badeöl hinterher, und ein fruchtiger Duft zog durchs Badezimmer.
Schön, dass man heutzutage Badezusätze wie »Gute Laune«, »Glückliche Auszeit«, »Liebestraum« und Ähnliches kaufen konnte. Die Idee dahinter war ja sehr clever – gebt den Leuten das, was sie sich wünschen! –, aber wer hoffte, dass sein Leben dadurch besser oder leichter würde, konnte nicht besonders klug sein. Nichtsdestotrotz wollte ich heute gerne mal in Guter Laune baden. Die war mir nämlich in den letzten Monaten – oder waren es Jahre? – irgendwie abhandengekommen.
Ich zog mich aus und wollte gerade in die Wanne klettern, als mein Blick auf meine Beine fiel. Heute war ich aber auch wirklich kritisch mit mir, denn wann hatte ich mich das letzte Mal überhaupt wahrgenommen? Das musste Ewigkeiten her sein. Im Urwald auf meinen Schienbeinen konnte ich jedenfalls kleine Äffchen mit Kokosnüssen werfen sehen, und Papageien saßen in den Wipfeln des Gestrüpps. Auch wenn ich sonst nicht für die Abholzung des Regenwaldes war: Dieser Dschungel musste dringend gerodet werden!
Ich drehte den Wasserhahn ab, bevor die Wanne überlaufen konnte, und suchte meinen Rasierer. Stattdessen fand ich eine Reinigungsmaske, die ich sofort aufriss und mir ins Gesicht schmierte. Die weiße Creme erstarrte innerhalb von Sekunden, sodass ich kaum noch meinen Mund verziehen konnte, ohne dass mir kleine Bröckchen aus dem Gesicht rieselten. Ich sah wirklich zum Davonlaufen aus.
Und das Blödeste war, ich wusste immer noch nicht, wie sie aussah. Aber eigentlich war es einerlei. Ich wusste ja, wie ich aussah. Und das wollte ich im Rahmen meiner Möglichkeiten schnell ändern. Früher hatte ich ja auch auf mich geachtet. Der Schaum knisterte verführerisch in der Wanne; ich konnte es kaum erwarten, mich endlich entspannt zu baden.
Um meinem Beindschungel zu Leibe zu rücken, schäumte ich mir genüsslich die Beine ein. Das Gespräch mit Amelie fiel mir wieder ein: Ich war bald Redaktionsleiterin bei Mütter! Für einen kurzen Moment war ich nicht mehr ganz so trübsinnig. Das würde schon gutgehen, ich freute mich auf die neue Aufgabe. Amelie würde mich bestimmt richtig einarbeiten, da war ich sicher.
So wenig ich privat mit ihr zu tun haben wollte, so ideal war sie als Vorgesetzte. Sie machte einfach einen perfekten Job. Dazu gehörte eben auch, dass man sich die Redakteurinnen auf Abstand hielt.
Aber ich würde es anders machen. Meine Mädels und ich, wir würden das zusammen angehen! Denn wir sind Mütter! Was wusste Amelie denn schon vom Mutterdasein? Kein Wunder, dass unsere Zeitschrift immer so altmodisch rüberkam. Amelie hatte anscheinend eine feste Meinung, wie man sich als Mutter zu fühlen hatte, nämlich immer auf der Suche nach den neuesten Rezepten, nach den
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