Haertetest
durfte. Seinen Intendanten erkannte ich auch, ebenso einen bekannten Regisseur.
»O Entschuldigung«, murmelte ich und zog die Tür wieder zu.
Lilly und ich standen auf dem Flur und sahen uns an.
»Und was jetzt?«, fragte sie. Ich zuckte die Schultern.
Der Pförtner hatte uns ohne zu zögern durch den Personaleingang ins Theater gelassen und mir erzählt, dass Jonas tatsächlich mal nicht irgendwo hektisch herumlief, sondern in seinem Büro war. Dass dort gerade ein wichtiges Meeting abgehalten wurde, hatte er wohl vergessen zu erwähnen.
Ich wusste zwar, wie wir durch unzählige verwinkelte Gänge zu Jonas’ Büro kamen, das oft für Besprechungen und Konferenzen genutzt wurde, weil es das einzige Raucherbüro war, aber wie es jetzt weitergehen sollte, wussten weder Lilly noch ich. Hatten wir wirklich gedacht, wir würden Jonas und Jessica – wenn die Blondine in seinem Büro denn überhaupt Jessica gewesen war – dabei erwischen, wie sie übereinander herfielen, wie die notgeilen Assistenzärzte in Grey’s Anatomy? Wohl kaum.
Die Tür der technischen Leitung öffnete sich jetzt, drinnen wurden Stühle gerückt, und alle standen auf. Huch? War das jetzt unsere Schuld? Jonas kam heraus auf den Flur und zog mich ein Stück zur Seite. Murmelnd zerstreuten sich seine Kollegen Richtung Küche oder Toilette.
»Also, in zehn Minuten dann wieder hier, ja?«, rief jemand.
Ich hatte offensichtlich zumindest für eine kleine Pinkelpause gesorgt. Oh. Aber vielleicht hätten sie sowieso eine Pause gemacht.
So wirklich erfreut sah Jonas nicht aus. Im Gegenteil.
»Bist du jetzt verrückt geworden?«, fuhr er mich an.
Lilly murmelte »hallo«, und ich sah ihr an, dass sie sich in Grund und Boden schämte. Schließlich war es ihre Idee gewesen, Jonas zu besuchen.
Die Überraschung war uns auf jeden Fall gelungen. Wenn auch nicht in dem erhofften Sinne. Ich wollte es ihm ja vorhin erzählen, aber irgendwie war das Gespräch nicht so geradlinig verlaufen. Okay, ich hätte jetzt nicht gedacht, dass er Freudensprünge machte, aber auch nicht, dass er dermaßen unangenehm berührt sein würde, wenn ich mal spontan hier auftauchte.
»Ich bin gerade in einer wichtigen Besprechung.«
Ja, ich hatte es mitgekriegt. Ich begrüßte ihn trotzdem so, wie es sich gehörte.
»Hallo, Schatz.« Er bekam einen Kuss auf den Mund. »Okay, tut mir leid, wir gehen wieder. Macht ihr jetzt Pause?«
Jonas nickte. »Jepp. Sieht so aus.«
Also, im Ernst, wenn hier jemand Grund hatte, sauer zu sein, dann war das ja wohl ich. Trotzdem fühlte ich mich so – keine Ahnung – zu ihm hingezogen. Ich musste ihn einfach berühren.
Ich strich ihm über die Brust und über den rauen Stoff seiner Strickjacke. Wie gut er sich anfühlte. Er hielt meine Hände fest und sah mich streng an. Okay, dann eben nicht.
Jonas schien sich nur mühevoll zu beherrschen und sprach mit mir genau in dem Ton, in dem er immer mit Maja sprach, wenn er versuchte zu erklären, warum wir zum Beispiel am Sonntagabend nicht mehr zum Indoor-Spielplatz fahren konnten. Er sprach sehr langsam und deutlich.
»Sophie, ich habe dir doch vorhin schon gesagt, dass ich wirklich su-per-viel zu tun habe. Es tut mir leid mit heute Abend, aber es geht einfach nicht.« Dann änderte sich sein Ton wieder, und er meckerte mich einfach an: »Du kannst doch nicht ernsthaft hier in meine Sitzung platzen! Das geht nicht! Das ist doch wichtig, was ich hier mache!«
Ach, und was war ich? Das doofe Frauchen, das zu Hause auf ihn wartete, bis er mal Lust bekam vorbeizuschauen? SO stellte er sich eine Ehe vor?
»Aber ich bin doch auch wichtig! Wir haben heute Abend unsere Verabredung, das weißt du doch! Wie kann dir das denn alles egal sein? Ich verstehe dich überhaupt nicht mehr. Du bist so … anders geworden!«
Ich bekam kaum noch Luft vor lauter Frust, Trauer, Ärger und Wut. Bloß jetzt nicht losheulen, nahm ich mir vor. In mir brodelte der heiße Feuerball, ich glühte vor Ärger und war so heiß wie ein Vulkan. Aber nicht wie in dem Schlager »Tanze Samba mit mir, du bist so heiß wie ein Vulkan«, sondern wie der Mount St. Helens, der eine Supernova auslöst, wenn er irgendwann ausbricht.
»Lass uns da bitte jetzt nicht drüber reden!«, zischte Jonas.
Lilly stand schweigsam neben uns und versuchte, sich unbeteiligt zu geben, indem sie ein Plakat an der Wand anstarrte. Ansonsten waren wir auf dem Flur alleine, Jonas’ Kollegen hatten sich in den Weiten
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