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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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ratlos. Der eine Freund bricht auf, die Freiheit zu suchen, der andere ist gescheitert. Er denkt an seine letzten Aufenthalte in Stuttgart, wie Stäudlin, aufgedunsen, schon verwüstet vom Saufen, dennoch voller Zuversicht war; an die Mädchen, deren gutherzige Neugier ihn jedesmal beflügelt hatte. Es ist vorbei. Ein Stein ist aus dem großangelegten Muster gebrochen.
    Manchmal legen sich Susette und er nebeneinander aufdas schmale Bett. Sie berühren sich kaum. Sein Verlangen nach ihr ist groß, doch die angespannte Stille, die sie ihm entgegenhält, ist stärker.
    Es muß nicht sein, Hölder. Wir würden an uns umkommen. Laß uns leben.
    Heim! Den Kindern ist es nun doch recht.
    Das unstete Dasein in den Gasthöfen und unsere Nachlässigkeit haben sie verwildern lassen, meint Marie. Heinse verabschiedet sich mit großem Aufwand, kündigt seinen baldigen Besuch in Frankfurt an; er wolle auf der Reise nach Aschaffenburg haltmachen. Die Fahrt von Kassel nach Frankfurt geht ihnen viel zu langsam. Unterwegs und vor allem in Hanau sehen sie schon Spuren der Kämpfe. Ausgebrannte Häuser, aufgerissene Wege, zur Seite geworfene, zerbrochene Wagen. Die Kinder zeigen aufgeregt aus den Fenstern. In Frankfurt sieht es noch ärger aus. Viele Ruinen, Menschen, die Schutt beiseite räumen, Handwerker, die bereits an den Häusern arbeiten. Alle Farbe ist verlorengegangen. Über die Stadt hat sich Grau gesenkt. Selbst die Menschen kommen ihnen versehrt, mutlos, apathisch vor. Wieder dominiert das Militär in allen Straßen.
    Der Hirschgraben ist unverändert. Die Kinder brechen in Geschrei aus, als sie vorfahren. Ob der Papa da ist? Sicher noch nicht. Auch Susette fragt als erstes den Schwager: Wo ist der Kobus? Ist er zurück? Hölderlin, der das Willkommen aus dem Wagen verfolgt, wird von diesen Fragen verwundet, redet sich ein: Es ist ihr gutes Recht. Er ist ihr Mann, er ist der Vater ihrer Kinder.
    Henry ruft nach ihm: Hölder!
    Sie tragen Gepäck ins Haus, er zieht sich, mit dem Jungen, auf sein Zimmer zurück, wartet auf einen Ruf vonihr. Sie kommt, holt ihn zum Abendessen, bei dem Gontard-du Bosc verworren von Greueltaten der Franzosen, der Österreicher berichtete. Er war über die Dummheit des Rats erzürnt, konnte sich nicht darüber beruhigen, daß die Österreicher mehr noch als die Franzosen requirierten, den Preis nach Gutdünken bestimmten und außerdem noch mit Papieren zahlten, die erst in fünf Jahren fällig würden, also gerade gut für die Katz seien. Ja, geängstigt hätten sie sich die ganze Zeit. Nein, die Geschäfte des Hauses gingen nicht übel. Der Krieg hatte für gute Kaufleute seine Vorteile, gewiß. Und die Bauern rundum sind reich geworden.
    Obwohl Gontard nicht zu Hause ist, bittet Susette ihn, zurückhaltend, wachsam zu sein, vor allem auf Wilhelmine, die Haushälterin, zu achten, deren Neugier und Geschwätzigkeit gefährlich seien. Sie treffen sich, manchmal mit Marie, die freilich sehr abgelenkt ist, da sie auf einem Fest bei den Bethmanns einen kaiserlichen Offizier, den Freiherrn Rüdt von Collenberg, kennengelernt und sich in ihn verliebt hat.
    Susette hat wieder ihre Pflichten. Fast jeden Tag werden Besucher zum Tee oder zum Abendessen erwartet, die Gogels, die Schlössers, die Borkensteins, die Bethmanns, die Gontards. Hölderlin hält das Geschwätz über die vergangenen Leiden, denen man eben und doch durchaus mit Gewinn entkommen sei, kaum aus. Mit Henry streift er durch die Stadt, betrachtet die Verwüstungen, die allgemeine Mutlosigkeit erfaßt auch ihn. »Du wirst mich weniger im revolutionären Zustand finden, wenn Du mich siehst«, bekommt Karl zu hören, den er nach den Verhältnissen in Nürtingen fragt. Die Republikaner haben ein miserables Andenken hinterlassen, vor allem bei den einfachen Leuten. Sie haben niemanden geschont, haben geplündert, erpreßt und von Würde und Freiheit keine Spur hinterlassen. Aber vielleicht ist das im Krieg nicht möglich, vielleicht setzt der Krieg solche Hoffnungen außer Kraft, vielleicht haben sie eine Wirklichkeit ersehnt, die sich erst in Generationen entwickeln kann, wie auch die Ideen reifen müssen und nicht mit einem Schlag hervortreten. Es kann nicht umsonst gewesen sein. Ebel schreibt einen kläglichen Brief aus Paris, sieht sich in allen seinen Erwartungen betrogen. Susette, der er den Brief zeigt, freut sich über die bessere Einsicht, zu der »unser gescheiter Ebel« gelangt sei, doch er widerspricht ihr, zum ersten Mal, heftig. Er

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