Härtling, Peter
gehört hat? Einige müßten sich erinnert haben. Daß jetzt wieder jemand ein Französisch mit diesem kuriosen Akzent sprach, ein Schwabe. Hat man ihm erzählt, wie Reinhard dann nach Paris aufbrach, um der Republik zu dienen, und dies mit Glanz, mit Erfolg? 1802, als Hölderlin in Bordeaux weilte, war Reinhard schon Außenminister der Republik, berühmt, gefeiert und danach amtierte er, als ihn Talleyrand verdrängt hatte, als Botschafter beim Niedersächsischen Kreis in Hamburg. Da kreuzen sich Bahnen, und doch bleiben diese Existenzen ganz unvereinbar. Der Jüngere, auf seiner letzten Reise, schon verstört, schon über die Grenze; der andere, nochlange nicht am Ende, sich intelligent und lebenskundig den Verhältnissen fügend und anbietend, von der wiederhergestellten Monarchie mit dem Grafentitel ausgezeichnet, Gesandter in Deutschland, geschätzter Briefpartner Goethes und endlich Pair von Frankreich, Mitglied der Akademie – der war aus einem anderen Stoff.
Reinhard zog die Jungen an, denn er hatte zugepackt, die Zeit beim Schopf genommen. Stäudlin hielt enge Verbindung zu Reinhard, die ihm jedoch, als er die Heimat verlassen und nach Mainz gehen mußte, nichts half. Da verhallten Stäudlins verzweifelte Rufe in den Vorsälen des nun Mächtigen, und vielleicht bemerkte Reinhard in einer gelangweilten Unterhaltung: Ja, er kenne den Stäudlin, der sei aus der Bahn geraten, sei eben ein Querulant.
Was Cotta und Reinhard berichteten, haben die Studenten gelesen. Und Stäudlin wiederum unterrichtete Reinhard über die Zustände im Lande: »Gewiß ist, daß es unsern hohen Häuptern vom Kaiser biß auf den Bürgermeister zu Reutlingen herunter gewaltig bange ist u. daß sie entgegenarbeiten, ohne zu wissen, wie sie’s eigentlich angreifen sollen. Überall erscheinen nach und nach Censuredicte – aber man läßt die Schriften anderswo druken. Der Kaiser dingt einen Prof. Hoffmann, um eine Zeitschrift gegen die um sich greifende Freiheit zu schreiben. Dises Journal wird vorläuffig in allen … Zeitungen u. Journalen mit großem Pompe angekündigt u. man läßt es die Leute merken, daß der Kaiser die Hand im Spiele habe. Sie erscheint – u. die Wiener sagen laut, der Kaiser sei der vornehmste Mitarbeiter daran. Sie wird dem König von Preussen zugeschikt. Er antwortet in den gnädigsten Ausdrüken u. versichert, selbst alles Mögliche zur Verbreitung derselben beizutragen – u. diser Brief wird in öffentlichen Zeitungen gedrukt. Du siehst, wie dumm es unsre Fürsten angreifen.«
Eine Verschwörerrunde war der Studentenklub nicht, obwohl es der Hof und das Consistorium vermuteten. Sie schwärmten, gaben ihren Empfindungen nach, verquickten das Griechenideal mit dem der Franzosen, wurden ängstlich, wenn die Gewalttaten überhand nahmen, waren eher Parteigänger Brissots und seiner Freunde, die später Girondisten genannt wurden, als Robespierres, Dantons und Marats. Je näher die Revolution rückte, desto beunruhigter waren sie. Sie hätten, wäre es den Truppen der Revolution gelungen, den Süden zu erobern, Baden, Hessen und Württemberg, sich zurückgezogen, hätten vorsichtig zugeschaut und nur einige, die sich ins Spiel bringen wollten, wie eben Wetzel oder Seckendorf, wären auf die Straße gegangen, hätten sich als Jakobiner zu erkennen gegeben.
Hölderlin stand zwischen den reinen Denkern und denen, die handeln wollten. Stäudlin und Reinhard, die ihre Existenz wissentlich einsetzten, bewunderte er. Dazu war er nicht fähig. Seine Ideen wollten das Gemeine, den blutigen Rand nicht wahrnehmen, vielleicht auch nicht wahrhaben, obwohl er, im November 1792, nach dem wider alle Erwartungen raschen Einmarsch der französischen Truppen in Mainz, in einem Brief an die Mutter geradezu kühl abwägt, wen es treffen werde und wen nicht. Er bittet die »liebe Mamma« sich wegen des Kriegs nicht allzu viele Sorgen zu machen, denn: »Was auch kommen mag, so arg ists nicht, als Sie vielleicht fürchten mögen. Es ist wahr, es ist keine Unmöglichkeit, daß sich Veränderungen auch bei uns zutragen. Aber gottlob! wir sind nicht unter denen, denen man angemaßte Rechteabnehmen, die man wegen begangener Gewalttätigkeit und Bedrückung strafen könnte. Überall, wohin sich noch in Deutschland der Krieg zog, hat der gute Bürger wenig oder gar nichts verloren, und viel, viel gewonnen. Und wenn es sein muß, so ist es auch süß und groß, Gut und Blut seinem Vaterlande zu opfern, und wenn ich Vater wäre von einem
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